: Flucht in das Schreiben
NACHRUF Die Autorin Agota Kristof ist tot
Von „Abhärtungen des Geistes“ ist in ihren Romanen die Rede und von „Übungen in Grausamkeit“. Schreiben war für sie eine Lösung, um den Schmerz zu ertragen; dieses Thema hat die Schriftstellerin Agota Kristof vielfach variiert.
1935 wurde sie in Czikvand, Ungarn, geboren. Mit 14 Jahren musste sie ins Internat. Ihr Vater saß im Gefängnis, nun wurde sie auch von Mutter und Geschwistern getrennt. 1956, nach der Niederschlagung des ungarischen Aufstands, floh sie mit ihrem Mann und ihrer viermonatigen Tochter über Umwege in die Schweiz, wo sie schrieb und schrieb, der Sprache des fremden Landes aber nicht mächtig war. In der Schublade stapelten sich die Manuskripte, und um ihr Kind zu versorgen, arbeitete sie in einer Uhrenfabrik. Nach fünf Jahren Exil verließ sie ihren Mann. Erst Ende der Achtzigerjahre, mit „Das große Heft“ und den folgenden Büchern „Der Beweis“ und „Die dritte Lüge“, gelang ihr der Durchbruch. Übersetzungen in über 30 Sprachen folgten. In Deutschland kam es zu einer regelrechten Mode, die Texte der Agota Kristof auf Theaterbühnen zu adaptieren.
Ihre Prosa besticht durch ungeheure Erschütterungskraft bei gleichzeitiger Kargheit. Grausamkeit reiht sich an Grausamkeit, erzählt in einem Subjekt-Prädikat-Objekt-Stil. Kristof schrieb nicht in ihrer Muttersprache, sondern auf Französisch, der „Feindessprache“, die, wie sie feststellen muss, „allmählich meine Muttersprache tötet“. So produzierte Kristof beinahe ein Wunder beinahe: das Maximum an literarischem Ertrag mit einem Minimum an Vokabular und Grammatik.
2005 sind unter dem Titel „Die Analphabetin“ dann noch Erinnerungssplitter erschienen. Deutlich wird ein allumfassendes Gefühl von Fremdheit. Von den ungarischen Flüchtlingen, mit denen sie in die Schweiz kam, sind zwei freiwillig zurückgekehrt (ins Gefängnis), vier haben sich umgebracht. Und Kristof hat geschrieben, um zu leben. Das klingt so banal, wie es in diesem Fall wahr ist.
In der Nacht zum Mittwoch ist Agota Kristof im Alter von 75 Jahren in ihrem Schweizer Wohnort Neuchâtel gestorben.
CHRISTOPH SCHRÖDER, DRK