piwik no script img

„Zwischen Realität und Fiktion“

KULT Im Lübecker Buddenbrookhaus, dem einstigen Wohnsitz der Familie Mann, kann man „Weihnachten bei Buddenbrooks“ feiern. Ein sentimentales Angebot, das nicht zum kritisch-reflektierten Profil des Museums passt. Macht nichts, sagt dessen Chefin. Einmal im Jahr dürfe man auch schwelgen

Birte Lipinski

■ 35, Germanistin und Kunstpädagogin, leitet seit April 2014 das Lübecker Buddenbrookhaus. Sie hat als Regisseurin gearbeitet, an der Uni Oldenburg gelehrt und war zuletzt wissenschaftliche Referentin bei der Studienstiftung des deutschen Volkes in Bonn.

INTERVIEW PETRA SCHELLEN

taz: Frau Lipinski, muss man Thomas Manns Roman auswendig kennen, um „Weihnachten bei Buddenbrooks“ feiern zu können?

Birte Lipinski: Nein, wir haben ja Rezitatoren hier, die nehmen den Besuchern das ab. Und natürlich ist dieses Angebot etwas für Buddenbrook-Liebhaber – aber es kann auch ein guter Einstieg für Menschen sein, die mit Buddenbrooks noch nicht so viel zu tun hatten.

Aber sind die Hauptadressaten nicht Menschen, die sich als Großkaufleute in Buddenbrook-Tradition inszenieren möchten?

Nein, das Angebot ist nicht berufs- oder schichtspezifisch angelegt, sondern etwas für alle: Das ganze Haus wird weihnachtlich geschmückt, und bei Kaffee und Abendessen gibt es dann ein echtes Genussprogramm.

Gibt es dort ausschließlich Speisen aus dem Roman?

Großteils. Im „Weihnachtscafé“ gibt es tatsächlich Braune Kuchen, Ingwerkekse und den Buddenbrook-Napfkuchen. Auch beim Abendbuffet wird nach Buddenbrook- und Mann-Rezepten gekocht und gebacken.

Und wie authentisch dekorieren Sie das Haus?

Das Haus wird in dieser Zeit besonders geschmückt. Gewöhnlich sind die Räume des begehbaren Romans – Landschafts- und Götterzimmer in der Beletage – ja im Moment des Auszugs gestaltet, als die Familie das Haus aufgeben muss. Die Möbel sind für den Umzug mit Tüchern abgedeckt. In der Vorweihnachtszeit ist das anders: Da stellen wir die Weihnachtsräumlichkeiten des Romans wieder her.

Akribisch genau?

Ja, und das reicht bis zu den weißen Lilien am Tannenbaum. Das ist ein sehr ungewöhnlicher Schmuck und dient im Roman als Vorahnung, als Todesmotiv, das als Weihnachtsbaumschmuck auftaucht. Außerdem steht Hannos Puppentheater da – und das Knecht-Ruprecht-Bild, das für Hanno die Weihnachtszeit ankündigt.

Im Roman steht: „Die Stimmung gemahnte ein wenig an die eines Leichenbegängnisses. Übrigens war kaum Gefahr vorhanden, diese Stimmung möchte durch einen Laut jugendlichen Übermutes zerrissen werden.“ Geht es bei Ihnen auch so gesetzt zu?

Nein. Schon der Text, den unsere Museumsbegleiter rezitieren, ist an vielen Stellen sehr lustig. Und auch wenn eine Lesung eine gewisse Beschaulichkeit hat, ist das Ganze doch als gesellige Veranstaltung gedacht.

Wird ausschließlich das Buddenbrook’sche Weihnachtskapitel vorgelesen?

Bei der Lesung im historischen Gewölbekeller ja. Aber auf dem später folgenden literarischen Spaziergang auf den Spuren der Buddenbrooks und der Manns kommen auch andere Teile der Familien- und der Romangeschichte vor.

Im Roman gibt es auch eine Armenbescherung. Bieten auch Sie etwas für Menschen an, die sich den „Weihnachten bei Buddenbrooks“-Halbtag nicht leisten können?

Die literarischen Stadtrundgänge kann man auch kostengünstiger einzeln besuchen oder bei einem normalen Museumsbesuch das weihnachtlich geschmückte Buddenbrookhaus mit Weihnachtscafé genießen – samt heimeliger Atmosphäre.

Apropos: Das Roman-Weihnachten spielt zu einem Zeitpunkt, als der Konsul tot ist und Schwiegersohn Permaneder angeklagt. Der Niedergang ist besiegelt. Ist Ihr gemütlich-fröhliches Reenactment da nicht ein bisschen zynisch?

Ich glaube nicht. Vorzeichen des Untergangs durchziehen ja den ganzen Roman – also auch das Weihnachtskapitel. Andererseits ist Weihnachten bei Buddenbrooks ein Moment, in dem man die Familientradition hochhält, sich der guten Zeiten erinnert. Und es gibt ja auch lustige Szenen – etwa als Christian Weihnachten fast vergessen hätte und seine Mutter erstarrt angesichts dieser Ungeheuerlichkeit.

Würden Sie selbst gern mit den Romanfiguren Weihnachten feiern? Unterschwellig mögen die sich ja nicht besonders.

Natürlich kommen da unterschwellig auch Konflikte durch. Aber die „Buddenbrooks“ sind ja gerade deshalb so schön, weil das eben nicht alle Gutmenschen sind. Und vermutlich machen diese Figuren in einer Lesung tatsächlich mehr Spaß, als wenn man mit ihnen Weihnachten feiern müsste.

Soso.

Ja, aber sonst würde diese Literatur auch weniger Spaß machen. Das ist ja die besondere Fertigkeit Thomas Manns: dass er Figuren zeichnet, die skurril sind, manchmal abgründig, die aber trotzdem auch sympathische Züge haben.

Seit wann bieten Sie „Weihnachten bei Buddenbrooks“ eigentlich schon an?

Mit einer kurzen Unterbrechung seit ungefähr 15 Jahren, und wir legen es jetzt wieder auf – unter anderem, weil Gäste es gewünscht haben.

Aber ist so eine konservative Veranstaltung noch zeitgemäß? Ihr Haus macht sonst ja auch kritische Ausstellungen – etwa über die Brüder Mann im Ersten Weltkrieg. Und dann fallen Sie Weihnachten in diese Sentimentalität zurück …

Wir haben das Glück, dass der Text Thomas Manns das Kritische, das Ironische immer mitträgt, und so bleibt diese Facette immer drin. Andererseits: Vielleicht darf man einmal im Jahr mal schwelgen. Außerdem haben wir in diesem Jahr einen neuen Höhepunkt: die Weihnachtslesung in der Marienkirche. Dabei wird auch die im Roman erwähnte Knabenkantorei Lieder singen, die im Weihnachtskapitel der „Buddenbrooks“ vorkommen.

Eine bizarre Überschneidung von Literatur und Realität.

Ja, das ist ja das große Thema des Hauses. Das heutige Buddenbrookhaus war ja der echte Familiensitz der Manns. Mit der Überschreibung durch die Familie Buddenbrook und den fiktiven Ort Buddenbrookhaus ist das Thema „Realität und Fiktion“ zentral geworden: indem man nicht den historischen Ort nachbaute, sondern den fiktiven, sodass der Besucher mit Buch in der Hand durch die Ausstellung gehen kann. Denn wir verweisen in jedem Zimmer genau auf die Stelle im Roman, in der es beschrieben ist.

„Weihnachten bei Buddenbrooks“ als Gesamtpaket: 29. 11., 6., 13. + 20. 12., 17.30 bis ca. 22 Uhr mit Kaffee und Kuchen, Lesung, Führung, literarischem Stadtrundgang, Abendbuffet. Nur nach Anmeldung, € 76,40.

Keine Anmeldung erfordern die Themenspaziergänge „Schon war es Weihnacht draußen in der Stadt“ (30. 11., 7., 14., 21. + 28. 12., 11 Uhr ab Buddenbrookhaus) sowie die Weihnachtslesung in der Lübecker Marienkirche (22. 12., 19 Uhr).

www.buddenbrookhaus.de

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen