: „Da gibt es nichts wiederzubeleben“
Sie will die Stadt zum Material machen, und die Welt gleich mit: Amelie Deuflhard, bislang Leiterin der Berliner Sophiensæle, leitet ab September die Hamburger Experimentierbühne Kampnagel. Und erklärt, warum der Generationenkonflikt auch den Tanz befruchtet
AMELIE DEUFLHARD, 46, Kulturwissenschaftlerin, leitete seit 2000 die Berliner Sophiensæle sowie seit 2004 den Volkspalast.
taz: Frau Deuflhard, wie wollen Sie Kampnagel wiederbeleben?
Amelie Deuflhard: Kampnagel war ja nicht tot, also ist da auch nichts wiederzubeleben. Aber ein Wechsel birgt natürlich immer eine Chance zur Dynamik, die man nutzen muss. Deshalb haben wir unter anderem überlegt, wie wir neue Verbindungslinien zu Hamburg, wo unsere Kunst ja stattfindet, schaffen wollen: Was passiert hier, wie kann die Stadt zur Bühne werden, wo ist sie Material? Zur Eröffnung im September haben wir deshalb das Projekt „Cargo Sofia“ eingeladen, das die dokumentarisch arbeitende Gruppe Rimini Protokoll inszeniert hat. In einem 7,5-Tonner werden darin zehnmal 50 Zuschauer durch Hamburg gefahren. Abwechselnd schaut man dabei auf Videos und nach draußen. Verhandelt werden das Leben zweier anwesender bulgarischer LKW-Fahrer und der Warenumschlag, der für Hamburg ja zentrales Thema ist.
Weitere Projekte?
Konkret auf unseren Stadtteil bezogen ist die Aktion „Barmbek TV“, in deren Rahmen – von einem selbst gebauten mobilen Fernsehstudio aus – Künstler vor Ort Bürger zur Geschichte Barmbeks und ihren eigenen Visionen interviewen. Die Videos werden in einem mobilen Studio produziert und im Internet veröffentlicht.
Wird Ihr Theater auch politisch sein?
Es gibt wichtige Themen, auf die die Kunst natürlich reagieren muss: Migration, die Vereinzelung von Menschen, die Debatte um die Klimaverschiebung. Damit werden wir uns selbstverständlich befassen.
Anhand welcher Kriterien erstellen Sie Ihr Programm? Wird es Themenblocks geben wie bisher?
Wir haben verschiedene Spuren gelegt. Eine davon heißt „Biograffiti“. Themen sind die Viten von Choreographen und Tänzern, die prototypisch sind. Denn das sind ja oft Migrantenbiographien: Etliche Tänzer bewegen sich zwischen verschiedenen Ländern. Es wird zum Beispiel ein Solo von Hamid Ben Mahi geben, eines in Bordeaux lebenden Tänzers algerischer Herkunft, der über seine Identitätssuche zum HipHop fand. Auch in „Sonja“, einem eher theatralen Stück, das Alvanis Hermanis aus einer Erzählung Tatjana Tolstajas destilliert hat, geht es um die Konstruktion von Biographie: Eine junge, einsame Frau steigert sich aufgrund eines gefälschten Liebesbriefs in eine fiktive Liebesbeziehung hinein und ändert ihr Leben komplett.
Das sind aber noch keine politischen Themen.
Nein, aber sie sind gesellschaftspolitisch. Wie die Themenspur „Für immer jung“, die junge und ältere Tänzer aufeinander treffen lässt. Sie werden füreinander choreographieren und natürlich anders vorgehen, als wenn sie es mit jemandem ihres Alters zu tun hätten. Ein Dialog, bei dem es um respektvolle Zusammenarbeit geht und um die Qualität des Älterwerdens. Eine weitere Reihe: „copy/paste“ – die Frage nach geistigem Eigentum, Authentizität und dem Geniebegriff des Künstlers. Die Hamburger Choreographin Antje Pfundtner wird verworfenes Material von Kollegen zu einem neuen Stück zusammenbauen, von dem nicht klar ist, wer es eigentlich geschaffen hat. Und die Mexikanerin Maria Clara Villa Lobos reicht dem Publikum eine Menükarte, bei der es aus verschiedenen Choreographien wählen kann wie beim Fast Food.
Werden Sie – Anhängerin des Sprechtheaters – den Schwerpunkt vom Tanz hin zu Theater verlagern?
Wir werden interdisziplinär arbeiten. Werden auch Theater machen, aber natürlich kein klassisches, sondern eher Stücke mit Projektcharakter. Außerdem wollen wir an neuen Formen des Musiktheaters arbeiten – wie beim Projekt „Deichkind – The Musical“, das die Musikvideo-Regisseure Alex & Liane erarbeitet haben. Ein Stück, das sich mit dem schnellen, billigen Ruhm befasst.
Hamburgs Choreographen möchten auf Kampnagel stärker eingebunden werden als bisher. Was werden Sie da tun?
Abgesehen davon, dass unser Spielplan etliche Hamburger Künstler aufweist, liegt mir sehr an einer freundlichen Zusammenarbeit. Aber wir können auf Kampnagel nicht alle Hamburger Choreographen zeigen. Aber die hiesige Szene ist natürlich unser Humus – wie das Ensemble am Theater. Außerdem bindet die Kooperation mit Tanzplan Hamburg ja hiesige Choreographen ans Haus. Ich denke, es geht vor allem um einen respektvollen Umgang miteinander.
Und der Umgang mit dem Geld? Wie gestaltet sich der?
Ohne Drittmittel und Kooperationen könnte man Kampnagel mit dem vorhandenen Budget nicht betreiben. Es gibt ja verschiedene Modelle, das Geld zu mehren: Koproduktionsmodelle, Partnerschaften, verschiedene staatliche Quellen. Außerdem Förderer wie die Kulturstiftung des Bundes, Performance-Netze, europäische Fördertopfe. Und dann sind da ja noch die vielen in Hamburg engagierten Stiftungen. INTERVIEW: PETRA SCHELLEN
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