: Die Luft ist noch nicht raus
FÜHRUNG Der Focke-Windkanal liegt versteckt in einem Hinterhof in der Bahnhofsvorstadt. Liebevoll restauriert, erlaubt er wissenschaftliche Luftwiderstands-Messungen
von JEAN-PHILIPP BAECK
Präzisionsmanometer, Prandlrohr, Drahtaufhängungen nach Cremona-Plan: Die Messgeräte und Versuchsaufbauten, mit denen der Luftfahrtpionier Henrich Focke vor fast 50 Jahren in seinem privaten Windkanal experimentierte – sie funktionieren. Manche bis heute. Manche, weil Enthusiasten wie Kai Steffen und Olaf von Engeln es verstanden, sie wieder zum Laufen zu bringen.
Versteckt in einem Hinterhof liegt die historische Werkstatt, in der Nähe des Hauptbahnhofs. Steffen und von Engeln haben mit einem kleinen Verein das Gebäude und den Windkanal restauriert. Seit 2003 ist wieder Leben in den alten Hallen: aerodynamische Instrumente, Propeller, Rotoren, Flugzeugmodelle liegen herum. Auch in den hölzernen Röhren des Windkanals bläst wieder Luft, mit bis zu 60 Kilometern in der Stunde, angetrieben von den 16.000 Watt eines Wind-Propellers. Der Kanal füllt fast den gesamten Raum aus, in einer viereckigen Öffnung, etwa ein mal zwei Meter groß, hängt ein Flugzeugmodell an dünnen Drahtseilen. Wenn Ingenieur Steffen die Windmaschine anschmeißt, klingt es bei niedriger Geschwindigkeit, als würde ein Nachbar den Rasen mähen. Voll aufgedreht aber erinnert das Getöse an den Start eines Motorflugzeugs. „Alles ist so, als wäre Henrich Focke nur mal eben zu Eisen-Werner gegangen, um sich eine Rolle Draht zu holen“, so von Engeln.
Als Focke 1963 den Windkanal in Betrieb nahm, war er 73 Jahre alt, seine professionelle Laufbahn bereits beendet. 1924 hatte der Ingenieur in Bremen mit der Focke-Wulf-Flugzeugbau AG begonnen, das Motorflugzeug „A 16“ in Serie zu bauen, 1936 hat auf dem Neuenlander Feld sein „FW-61“ abgehoben, einer der ersten gebrauchsfähigen Hubschrauber der Welt. Ganz privat, im stillen Kämmerlein, forschte Focke im Rentenalter weiter, experimentierte in seinem Windkanal am Langsamflug von Luftfahrzeugen und der aerodynamischen Stabilität von Hubschraubern. „Dass es möglich ist, auch ohne Elektronik stabil zu fliegen, können selbst Fachleute bis heute nicht glauben“, sagt Steffen. Focke aber hat es geschafft, mit einfachen Mitteln und ausgeprägter Ingenieurskunst. Auftrieb etwa maß er, indem er die Last eines Flugzeugmodells über Drähte auf Gegengewichte umleitete, die er auf Haushaltswaagen platzierte. Die Messinstrumente sind heute wieder zu sehen und einsatzbereit, dank Steffen und seines Vereins.
1998 hatte Steffen das alte Labor entdeckt, in den Aufzeichnungen Fockes waren nur vage Hinweise zum Standort in der Emil-Waldmann-Straße. Von dem Windkanal gewusst haben wollen viele. Doch weder das von Henrichs Vater gegründete Focke-Museum, noch dessen Tochter, die heutige Eigentümerin des Werkstattgebäudes, kümmerten sich. Seit Henrich Fockes Tod im Jahr 1979 verfiel das Labor. Regen, Schimmel, Holzwürmer richteten Schäden an, der Eingang wucherte zu. 2003 fand Steffen Sponsoren, sammelte innerhalb eines halben Jahres 250.000 Euro. Mit der Erbin Fockes einigte er sich auf einen Nutzungsvertrag bis 2025. Die Restauration gelang so gut, dass Steffen 2005 den Deutschen Preis für Denkmalschutz dafür erhielt. Heute entspricht der Windkanal wieder wissenschaftlichen Anforderungen. Für Diplomarbeiten wurde schon aerodynamisch experimentiert, eine „Jugend forscht“-Gruppe kam extra aus Hamburg. Der TÜV zertifizierte den Windkanal sogar für Eichmessungen – nur eine Handvoll Einrichtungen in Deutschland genügen dem Standard.
Seit einiger Zeit aber scheint die Zukunft des Denkmals in Gefahr zu sein. 2006 meldete sich eine Windenergie-Firma, die ihre Anlagen in dem Hinterhof-Labor kalibrieren wollte. Ein gutes Geschäft für beide Seiten. Der Focke-Windkanal hätte zu einem Museum werden können, das aus eigener Kraft schwarze Zahlen schreibt. Aus all dem aber wurde nichts. Nach einigem Hin und Her haben sich Fockes Erbin und ihre Münchner Anwältin mit dem Verein überworfen. Sie wollen eine Stiftung gründen, der Verein scheint im Weg zu stehen, obwohl ohne dessen Arbeit in der Werkstatt nichts läuft. Kürzlich habe die Anwältin sogar mit Kündigung des Nutzungsvertrages gedroht, so Steffen. Experimente sind unter diesen Umständen nicht mehr möglich, damit fehlen Spendeneinnahmen, um die laufenden Kosten von 3.000 Euro im Jahr aufzubringen. Kai Steffen und Olaf von Engeln wissen nicht, wie es weitergeht. Bei einer Kündigung müssten sie in drei Monaten raus sein. Die Anwältin wollte zu den Vorwürfen nicht Stellung nehmen.
So 11-17 Uhr, Emil-Waldmann-Str. 4, Führung jeweils zur vollen Stunde
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