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Auf der Insel des seligen Zweifels

Die Ausstellung „Say it isn’t so“ im Bremer Museum Weserburg propagiert ein Bild von Kunst als Widerpart der Naturwissenschaften – und blendet die Möglichkeit ihres Schulterschlusses aus. Das ist so einseitig wie ehrenwert

Kunst ist eine Wissenschaft für sich. Ihre Methoden sind neuerdings denen von Physik oder Biologie oft näher als den Lehren vom Deuten kultureller Hervorbringungen. Nur: Ihre Erkenntnisse sind zweifelhaft. Und vielleicht ist sogar – das wäre dann doch ein schroffer Gegensatz – der Zweifel ihr wichtigstes Ziel. Die Ausstellung „Naturwissenschaften im Visier der Kunst“ im Bremer Museum Weserburg wenigstens nennt sich programmatisch: „Say it isn’t so“.

Der Titel stammt von einer Wachs-Plastik John Isaacs: Die lebensgroße Figur, Hemd, Krawatte, dunkler Anzug und darüber ein weißer Laborkittel, begrüßt, als erstes Stück, dem er begegnet, recht rüde jeden Ausstellungsgast. In der rechten Hand hält die Figur ein Reagenzglas. Die andere ist in die Höhe gereckt – mit vulgär ausgefahrenem Mittelfinger. Der Kopf aber, mit schütter-wirrem Echthaar und Glasaugen verziert, besteht aus einem exakt nachplastinierten bratfertigen Hühnchen: Bürzel heißt auf Englisch Parson’s nose, also Pastoren-Nase, so informiert der Katalog. Isaacs hat der Statue eine bedrohliche Vorwärtsneigung verpasst. Und es ist klar: Wären ihre gut beschuhten Füße nicht fixiert, sie wäre längst gefallen. Auf den Bürzel.

Das ist spaßig, keine Frage, und ein starkes Signal – bei dem allerdings zweifelhaft ist, ob es über den Witz hinaus noch etwas will und kann: Auch mit dem Wissen, dass Isaacs in Exeter Bio studiert hat, bleibt das zu platt, um ernsthaft in die Diskussion zum Verhältnis von Kunst und Naturwissenschaften einzusteigen. Die hat mit zwei großen Symposien in Berlin und einem mehrtägigen Kongress in Hannover in den vergangenen vier Jahren erheblich an Fahrt und Tiefe gewonnen. Und einer der wichtigsten Impulsgeber weltweit ist das – von Bremen aus nicht allzu entfernte – jährliche European Media Art Festival in Osnabrück: Dort hat Eduard Kac vor sieben Jahren sein berüchtigtes fluoreszierendes Kaninchen vorgestellt. Und noch immer gilt die zynische Züchtung mit Tiefseefisch-DNA als Extrempunkt künstlerischer Forschung mit den Mitteln der Gentechnik.

In ihrer Scheu vor Werken, die diesen Schulterschluss vollziehen, propagiert die Ausstellung ein eher einseitiges, aber doch ehrbares Verhältnis von Kunst und Wissenschaft: Kunst nimmt hier die Rolle des Gegenspielers ein, der die Grundgewissheit des Szientismus zum Wanken bringt. Aber kann sie das noch? Die ehrliche Antwort: Nicht immer. Mit den rührend-einfältigen Dioramen und Wasserproben aus der Alster, die der Wahl-Hamburger Mark Dion in einem hübschen Schauschrank aufgebaut hat, wird niemand tief ins Grübeln kommen. Zwischen Faszination und Verzweiflung aber lässt Carsten Nicolai den Betrachter seiner Installation „Snow Noise“ zurück: In Röhren bilden sich, Idealbilder innerer Ordnung, Eiskristalle, die sich, weil keines wie das andere ist, dem ordnenden Zugriff von außen entziehen.

Und eine Ahnung davon, was denn ein nicht-euklidischer Raum sein könnte, vermittelt Carsten Höllers elegante Assemblage: Sie besteht aus einem stark gekrümmten Schlüsselrohling, der mit einer silbrigen Kette an einem polierten unregelmäßigen Edelstahlzylinder befestigt ist. Auf dessen Front sichtbar ist eine Spiegelung: Erneut der Schlüssel – aber gerade und wie für den Gebrauch zurechtgelegt. Es ist, nein: heißt „Der Schlüssel zum Laboratorium des Zweifels“. Dessen Tür scheint dem, der sich im Zerrbild versenkt, weit aufgesperrt: Vielleicht ist es eine Insel der Seligen. bes

„Say it isn’t so“: Neues Museum Weserburg, Bremen. Bis 16. September

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