: Eine großartige Bandwurmgeschichte
FOTOGRAFIE New Yorker Diven und ganz gewöhnliche Schwaben: Die Walther Collection in Manhattan überzeugt mit der Ausstellung „Appropriated Landscapes“, die zeitgenössische Fotografie aus dem südlichen Afrika zeigt
VON BRIGITTE WERNEBURG
Über Manhattan prunkt die Sonne und treibt die Temperatur so hoch, dass man froh ist, sich in den klimatisierten, ansonsten schlicht ausgestatteten Projektraum der Walther Collection in der 26. Straße West retten zu können. In dem erst kürzlich eröffneten neuen Ausstellungsraum im Galerienviertel Chelsea ist zur Zeit „As Terras do Fim do Mundo“ (Das Land am Ende der Welt) sehen, Aufnahmen aus den Jahren 2007 bis 2009, die die südafrikanische Fotografin Jo Ratcliffe im Landesinnern von Angola gemacht hat. Direkt an den Unabhängigkeitskrieg, in dem sich das Land 1975 von der Kolonialmacht Portugal befreite, schloss sich ein Bürgerkrieg an, der erst 2002 ein Ende fand. Teils hausgemacht, teils Stellvertreterkrieg zwischen dem Ostblock und den Westmächten, kamen in diesem Konflikt Kuba und dem Apartheidsregime in Südafrika tragende Rollen zu.
Der kubanische Stern ist denn auch in vielen der zunächst vor allem atmosphärisch attraktiven Landschaftsaufnahmen zu entdecken. Fatalerweise verdankt sich dieser starke atmosphärische Gehalt der stillen, ländlichen Ansichten, den unheimlichen Hinterlassenschaften, deren man beim allmählichen Betrachten der Bilder gewahr wird: namenlose Denkmäler, anonyme Massengräber und vielerlei Zeichen und Symbole, die Minenfelder anzeigen beziehungsweise geräumte, wieder zugängliche Gebiete markieren.
Fotografische Denkschrift
Ein paar Wochen zuvor war das Wetter in Burlafingen, dem Hauptsitz der Sammlung zeitgenössischer Fotografie, wie in diesem deutschen Sommer üblich, regnerisch und kalt gewesen. Doch die Eröffnung der Ausstellung „Appropriated Landscape“ trotzte Nässe und Kälte mit ihrem legeren, unaufwendigen Charakter eines Straßenfests. Freilich fiel es durch das Zusammentreffen von New Yorker Diven, schwarzafrikanischen Künstlern und gewöhnlichen Schwaben aus der Nachbarschaft etwas extravaganter aus als sonst in deutschen Vororten üblich. Der Fotograf Albrecht Tübke, in dessen Werk die menschliche Figur im Zentrum steht, hatte also leichtes Spiel. Der Meisterschüler von Timm Rautert an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig konnte aus dem Vollen schöpfen, als er immer wieder einzelne Vernissagengäste vor die dunkle Außenwand des Black House komplimentierte, um sie im Ganzkörperporträt festzuhalten für die von der Walther Collection in Auftrag gegebene Serie ihrer Besucher.
Das Innere des Black House hatte Jo Ratcliffe in Besitz genommen. Für ihre fotografische Denkschrift über das angolanische Unglück war sie zwei Jahre lang mit ehemaligen Söldnern, südafrikanischen und angolanischen Kriegsveteranen durch das Hinterland gereist. Sie war in Luanda aufgebrochen – drei großformatige Schwarzweißaufnahmen zeigen Boa Vista, einen hauptstädtischen Slum auf den nahe am Hafen gelegenen Hügeln –, um sich dann in weiten, kargen Landschaften wiederzufinden; karg auch wegen der vielen, aufgrund der Minen aufgegebenen Felder. Großartige, ideologisch trostlose Wandmalereien der Kubaner, die längst ihre Farbe verlieren, zieren die Wände einer geräumten Schule; auf das Foto eines verlassenen Hubschrauberlandeplatzes folgt das Bild eines ebenso verlassenen, mitten im Busch errichteten Bordells; schließlich folgt eine kleine Serie zu den Grabensystemen der kubanischen Basis Namibe: Alle Fotografien charakterisiert ein Horizont, der an Hiroshi Sugimotos „Seascapes“ erinnert. Wie ein Transparent legt sich das ewig Gleiche, Unwandelbare der Landschaft, das Meer und sein Horizont, über die menschengemachte, ideologisch und ökonomisch definierte Landschaft des Kontinents. Erdgeschichte gegen Menschheitsgeschichte.
Geprägte Landschaften
Jane Alexander, Ângela Ferreira, Peter Friedl, David Goldblatt, Christine Meisner, Sabelo Mlangeni, Zanele Muholi, Manthia Diawara oder Guy Tillim: „Appropriated Landscapes“ zeigt das Werk von insgesamt vierzehn Künstlern. In ihren Arbeiten werden die unterschiedlichen Erscheinungsweisen der Landschaft des südlichen Afrikas thematisiert. Alle gehen sie auf ihre je eigene Art und Weise dem Vermächtnis wie den gegenwärtigen Spuren von Naturgeschichte, Krieg, Migration, Kolonialismus und Industrialisierung nach, die die Gestalt dieser Landschaften prägen. Die ausgestellten Arbeiten führen den Betrachtern eine Vielzahl von Möglichkeiten vor Augen, wie diese Spuren, Topografien und Ansichten gelesen, interpretiert und neu konfiguriert werden können. Mit dem südafrikanischen Fotografen Santu Mofokeng etwa betritt der Betrachter die mächtigen Höhlen von Motouleng, in denen sich die Anhänger einer Pfingstgemeinde versammeln, um im Dunkel der Kavernen Erleuchtung zu erfahren. „Die sonnige Seite der Landschaft ist selten in seinem Fokus“, bemerkt die Berliner Kunstkritikerin Sabine Vogel über sein Werk, das unter dem Titel „Chasing Shadows“ noch bis Mitte September auch im Pariser Jeu de Paume zu sehen ist. Seine aus tiefschwarzem Silber auftauchenden Szenerien bringen dann uns die Erleuchtung. Aufklärung darüber, wie der afrikanische Alltag sich während der Zeit der Apartheid abspielte. Aber auch Aufklärung über Sorgen, die noch am Horizont dräuen, wie die Frage des von Hausmüll, Minenabfällen und Giften der internationalen Agrochemie verseuchten Wassers, das die neuen Grenzkonflikte schaffen wird.
Auch im südlichen Afrika beanspruchen die urbanen, industriell geprägten Landstriche der großen Millionenstädte einen immer bedeutenderen Raum. Eine der überzeugendsten Visualisierungen der Stadt stammt von dem südafrikanischen Fotografen Mikhael Subotzky in Zusammenarbeit mit dem britischen Künstler Patrick Waterhouse. „Ponte City“, ihre digitale 12-Kanal-Projektion von Kontaktabzügen, zeigt den Ausblick auf Johannesburg aus jedem Apartment des in den 70er Jahren für eine wohlhabende Mittelklasse gebauten 54stöckigen Wohnturms, der dann in den 90er Jahren durch die aufflammende Ganggewalt zu einem Hochhausghetto verkam. In ihrer endlosen Wiederholung der Stadtansichten wirkt die Installation wie ein fabelhafter Abschied von der Fortschrittsgeschichte der Architektur und des Blicks über die Stadt. Zugleich ist sie aber auch eine minutiöse Dokumentation individuellen Lebens, wie es sich im Umgang mit dem Panoramafenster zeigt, das mal ein blickdichter Vorhang hermetisch verhängt, das mal ganz nackt oder das andere Mal leicht verschleiert auf die Stadt blickt, und das schließlich ein demolierter Bettrost verstellt.
Eine Arbeit von solcher Prägnanz hätte man sich gewünscht, auf der kurz zuvor eröffneten Biennale von Venedig zu finden. Das Gleiche gilt für Penny Siopis’ Videoarbeit „Obscure White Messenger“. Die 1953 in Vryburg, Südafrika, geborene Künstlerin griechischer Abstammung hat altes, von ihr mit türkischer Musik unterlegtes Filmmaterial aus anonymen Home Movies zusammengeschnitten.
Aufschlussreiche Montage
Mit dieser Montage macht sie die Geschichte von Dimitrios Tsafendas sinnfällig, dem „obskuren weißen Boten“, wie Nelson Mandela den Mörder des südafrikanischen Premierministers und Architekten des Apartheidsystems, Hendrik Verwoerd, nannte. Grundlage der Erzählung ist ein Interview des Gefängnispsychiaters mit Tsafendas, über das sich allmählich eine ebenso bestürzende wie surreale Migrantenodyssee des 20. Jahrhunderts erschließt, nicht zuletzt über den Bandwurm, der in ihr eine wesentliche Rolle spielt.
Nach Okwui Enwezor, seit Kurzem Leiter des Hauses der Kunst in München, hat nun die französisch-schweizerische Kuratorin Corinne Diserens die zweite Jahresausstellung der Walther Collection in Burlafingen besorgt, und sie hat eine großartige Auswahl getroffen. Sie entwarf einen abwechslungsreichen Rundgang, in den sie sogar Mitch Epstein und dessen „American Power“-Projekt einbindet und damit den Kontext für einen aufschlussreichen Vergleich zwischen afrikanischen und amerikanischen Bildstrategien in Bezug auf Landschaft herstellt.
■ Bis 13. Mai 2012, Walther Collection, Burlafingen bei Ulm, Katalog (Steidl Verlag) 65 EUR, www.walthercollection.com; bis 25. September, Santu Mofokeng, Chasing Shadows, Jeu de Paume, Paris, Katalog (Prestel Verlag) 49,95 EUR
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen