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Gürteltiere auf Bestellung

Bei „Planet Prozess“ im alten Senatsreservenspeicher entdecken Street Artists ihre Lust an der Publikumsbeteiligung. Vom Mitmachvirus ließen sich auch hübsche Mitte-Mädchen infizieren

Später klebten die roten Punkte, die „verkauft“ signalisieren, in den Gesichtern hübscher Mitte-Mädchen

VON TIM ACKERMANN

Irgendwann hat jemand die roten Punkte entdeckt. Einen vom Papier geknibbelt und seinem Freund aufs Hemd gepappt. Später am Abend klebten die grell leuchtenden Kreise überall. Auf den Wänden, auf dem großen gelben Plastikpanzer, in den Gesichtern hübscher Mitte-Mädchen. Wie eine Infektion, ein geheimnisvoller Virus. Das passt gut zu einer Street-Art-Ausstellung. Die Tags verbreiten sich schließlich auch wie ein Virus im Körper der Stadt.

„Planet Prozess“ heißt die Schau mit den Punkten, die gerade im alten Senatsreservenspeicher am Ufer der Spree zu sehen ist. Zur Vernissage schoben sich Limonade schlürfende Hipster über ein eigens errichtetes Treppengerüst in die Höhe. Ein Event. „Vier Etagen, 1.200 Quadratmeter“, hieß es in der Eigenwerbung. Messeveranstalter-Lyrik.

„Es ist das Gegenteil einer Messe“, sagt Lutz Henke, Kulturwissenschaftsstudent und Projektleiter von „Planet Prozess“: „Im Grunde können wir nichts verkaufen, weil wir nur Konzepte und Prozesse ausstellen.“ Die Ausstellung soll Street Art im Dialog mit der Stadt zeigen. „Alle Projekte verbinden den Innen- und den Außenraum. Und sie entwickeln sich weiter, solange die Ausstellung dauert“, sagt Henke.

Ein schönes Beispiel für diesen Anspruch ist das Projekt von El Tono & Nuria aus Madrid. Das Künstlerpaar hat primitive Holzschilder in der Stadt aufgestellt, die mit stilisierten Bildern von Gegenständen verziert sind. Auf die Rückseite ist ein Text gedruckt, der den Finder des Schildes bittet, dieses in den Senatsreservenspeicher zurückzutragen. Dort wird es dann Teil einer großen Installation.

El Tono & Nurias Schilder oder auch die Hühnerfiguren „Pontarius Polis Polis“, die der tschechische Künstler „Point“ am liebsten „auf kleinen Dächern und Vorsprüngen“ aussetzt, sind klassische Street-Art-Interventionen. Sie erzeugen bei den Passanten die typischen Irritationsgefühle. Darüber hinaus spürt man bei vielen Künstlern von „Planet Prozess“ jedoch den zunehmenden Wusch nach einem Feedback, einer erkennbaren Reaktion auf ihre Kunst. Illegal arbeitende Writer oder Schablonenkünstler müssen sich diesen Austausch mit dem Publikum logischerweise verkneifen, weshalb sich auch so mancher in den legalisierenden Kunstkontext hinübergerettet hat. An sich bleibt die Musealisierung der Street Art aber ein zwiespältiges Phänomen.

Ein Künstler, der sich gegen die Entkontextualisierung der Street Art stemmt, ist „Position“. Er flaniert durch die Stadt und sammelt „Nischen“ – Hauseingänge oder Einfahrten von Parkgaragen. Gefällt ihm eine Nische, macht er ein Foto und bearbeitet dies am Computer, bis daraus eine Flächenstruktur entsteht. Diese Struktur klebt oder malt er dann in die Nische.

Mission erfüllt, möchte man meinen, doch „Position“ kehrt zu seinen Werken immer wieder zurück. Oft wurden seine Flächen übergetagt. Der Künstler arbeitet diese Formen fremder Writer in einen neuen Entwurf mit ein, den er über dem alten platziert. Ein Fotozyklus bei „Planet Prozess“ zeigt, wie sich in einer Nische Farbschicht über Farbschicht legt. „Malerei im Zusammenspiel mit der Stadt“ nennt „Position“ seine Arbeit. In einem Museum würde diese Kunst wenig Sinn machen.

„Position“ will bei „Planet Prozess“ noch einen Computer aufstellen. Mit dem sollen die Besucher Vorgaben zur Nischengestaltung machen. So entdeckt die Street Art ihre Interaktivität. Ebenfalls auf Bestellung arbeiten Alison und Solovei mit ihrer „Public Public Library“: Die beiden New Yorker Künstlerinnen bieten wie am Posterstand fantasievoll gestaltete Cut-outs zum Durchblättern an. Gürteltiere, Fische, Affen. Der Betrachter kann auf Zetteln Wünsche hinterlassen, wo die Papierfiguren geklebt werden sollen. So wird vielleicht bald eine Meerjungfrau am Lausitzer Platz auftauchen, eine Wölfin in der Nestorstraße.

Street Art, am Konsumenten orientiert – da ist der Schritt zur Verkaufskunst nah. Der riesige, aufgeblasene Panzer mit schlaffem Kanonenrohr der argentinischen Gruppe „DOMA“ wäre auch auf jeder Kunstmesse ein Blickfang. „Wir sind nicht absolut gegen die Kommerzialisierung“, sagt Henke. „Wenn hier Künstler ihre Werke zu Marktpreisen verkaufen können, finde ich das in Ordnung.“

Zur Sicherheit hat die Ausstellung ihre eigene Marktkritik aber gleich mit eingebaut: Die roten Punkte des Künstlerduos „Thegreenyl“ sehen aus wie protzige große Brüder der dezenten Pünktchen, die Galeristen immer neben verkaufte Werke pinnen. Dass die Sticker nun bei „Planet Prozess“ wahllos an jeder Ecke kleben, wirkt wie ein schöner ironischer Kommentar auf den Kunstmarkt-Wahnsinn. Doch waren nun die vielen Menschen, die mit den Punkten auf der Wange zur U-Bahn gingen, tatsächlich alle schon vergeben?

Bis 19. 8., Mi.–So. 14–22 Uhr, Senatsreservenspeicher, Cuvrystr. 3–4, Berlin- Kreuzberg

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