: Kein Wort zu den Vorwürfen
Seit gestern steht der mutmaßliche Terrorhelfer Redouane E. H. in Schleswig vor Gericht. Wegen anstehender weiterer Verfahren schweigen der Angeklagte und sein Anwalt zwar nicht, äußern sich aber vorerst auch nicht zur Sache
Im Verfahren gegen Redouane E. H. sind derzeit zwar nur wenige weitere Prozesstage angesetzt, das Verfahren wird sich dennoch über Monate erstrecken. Zunächst werden heute Zeugen befragt, die E. H. aus Kiel kennen, darunter seine ehemalige Ehefrau. Vermutlich werden dann die insgesamt neun Anklagepunkte einzeln behandelt. Eine Rolle für die Dauer des Prozesses wird spielen, wann die Verfahren gegen zwei weitere mutmaßliche Mitglieder einer angeblich von E. H. mitgegründeten terroristischen Vereinigung beginnen – und was sich dort ergibt. Richter Matthias Hohmann erklärte vorab: „Wir haben Zeit.“ EST
AUS SCHLESWIG ESTHER GEISSLINGER
Nach Deutschland kam er, um seine Doktorarbeit zu schreiben, über Heidegger. Er habe nie eine Waffe in der Hand gehabt, sei überzeugter Pazifist, ja eigentlich „Zeit meines Lebens ein Angsthase gewesen“ – trotzdem aber saß Redouane E. H. gestern in einem streng abgeschirmten Sitzungssaal vor dem Strafsenat des Oberlandesgerichtes Schleswig. Die Bundesanwaltschaft wirft dem 37-Jährigen vor, die Terrororganisation al-Qaida unterstützt zu haben.
Um neun Taten zwischen August 2005 und Juli 2006 geht es. Unter anderem soll E. H. Selbstmordattentäter angeworben und Geld an Kontaktleute in Syrien und Ägypten überwiesen haben, um Schleuser oder die Ausrüstung von „Gotteskriegern“ zu bezahlen. Zuvor habe er im Internet einen Treueeid für al-Qaida abgelegt. Der schwerste Vorwurf schließlich: Gemeinsam mit anderen soll E. H. selbst eine terroristische Vereinigung gegründet haben, das „Bataillon von al-Habasch“. Die Gruppe sollte im Sudan aktiv werden, als erstes sei geplant gewesen, ein Trainingslager für Kämpfer aufzubauen, sagte Matthias Krauß, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof.
Er bescheinigt dem Prozess „Pilotcharakter“, weil es vor allem um die Rolle des Internets geht. Als Beweise werden Aufzeichnungen von Chats oder Daten auf der Festplatte des Deutsch-Marokkaners vorgelegt, der in Kiel einen Call-Shop betrieb. Ausführlich sprach Krauß gestern darüber, wie al-Qaida funktioniert – wie dezentrale Gruppen unter dem gleichen Banner eigenständig arbeiten. „Der Angeklagte war ein Teil dieses globalen Netzes, ein Rädchen, das wichtig war, damit die Maschinerie läuft“, sagte Krauß nach der Verhandlung.
Zu den Vorwürfen wollten sich E. H. und seine Rechtsvertreter nicht äußern. Anwalt Thomas Piplak erklärte, dass der Vorwurf, eine Terrorgruppe gegründet zu haben, erst spät auf den Tisch gekommen sei. Er wies auch darauf hin, dass weitere Prozesse anstehen – gegen zwei Männer, die ebenfalls Mitglieder des „Bataillons“ gewesen sein sollen. Beide haben, im Gegensatz zu E. H., keinen deutschen Pass, sind aber von Schweden nach Deutschland ausgeliefert worden. Denn als Tatort gilt Kiel – wo E. H. am Computer saß. Die anderen Prozesse sollen vermutlich ab Herbst ebenfalls in Schleswig stattfinden. Bis darüber mehr bekannt sei, werde sein Mandant sich nicht zur Sache äußern, sagte Piplak. Richter Matthias Hohmann gab zu, diese „Zwickmühle“ zu sehen, wies aber darauf hin, dass es im Interesse des Angeklagten liege, den Prozess nicht zu verzögern. Die Anwälte stimmten zu. „E. H. hat das Bedürfnis, sich zu rechtfertigen“, sagte Piplak.
Und so berichtete der Angeklagte gestern ausführlich von seinem Leben, in gutem Deutsch, hin und wieder mit einer norddeutschen Färbung. Weißes Hemd, modisches Bärtchen – äußerlich ist er weit entfernt vom Bild eines al-Qaida-Kämpfers. Ein wenig rundlich ist er geworden in dem Jahr, das er inzwischen in Untersuchungshaft sitzt.
Redouane E. H. wurde in Casablanca in Marokko geboren, studierte dort Philosophie, Psychologie und Soziologie. Er wollte seine Doktorarbeit schreiben, doch nach einem Streit mit seinem Professor beschloss er, das in Deutschland zu tun. Das Geld, das sein Vater ihm zahlte, reichte nicht aus, also jobbte E. H. in einer Kieler Disco. Party, Spaß, Alkohol, viele Frauen – „wie man das von deutschen Jugendlichen so kennt“, sagte er.
Der Wendepunkt kam durch den plötzlichen Tod seines Bruders. Darüber zu sprechen, fiel E. H. sichtlich schwer, mehrfach geriet er ins Stocken. Der unerwartete Todesfall habe ihn in eine Krise gestürzt, sagte er, er habe seinen Job gekündigt und sich in seiner Wohnung verkrochen. Sein Adressbuch will er weggeworfen haben, genauso die selbst geschriebenen Gedichte. Trost habe er dann in einer Moschee gefunden, wo er auch neue Leute kennenlernte – laut Staatsanwaltschaft könnten darunter die späteren „Kofferbomber“ gewesen sein.
Mit einem Freund eröffnete E. H. den Call-Shop und arbeitete lange Schichten: „Die Zeit konnte man sich nur mit Chats vertreiben“, sagte er. Über 500.000 Dateien wurden sichergestellt, vollständig ausgewertet sind sie noch nicht. Auch das ist ein Punkt, über den die Anwälte später sprechen wollen: „Schon in der Auswahl der Informationen liegt eine Information.“
Piplak sagte nach der Verhandlung, er sehe „in der Rechtspraxis gewaltige Probleme“, wenn der Staat versuche, „den Gefahren der Zeit mit Mitteln des Strafrechts zu begegnen“. Die E. H. vorgeworfene Gründung einer terroristischen Gruppe wäre bei einem anderen Verbrechen wie Bankraub „nicht einmal im Stadium eines Versuches“ einzuordnen. Die Staatsanwaltschaft sieht das anders: Das System al-Qaida funktioniere nur, wenn es überall auf der Welt Unterstützer gebe.
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