: Flucht vor Eltern und Scientology
Zwei Kinder einer führenden Berliner Scientologin sind nach Hamburg geflohen. Hier werden sie von der Jugendbehörde und der Sektenbeauftragten des Senats betreut. Aberkennung des Sorgerechts durch Familiengericht könnte die Folge sein
Scientology wurde 1954 in den USA von L. Ron Hubbard gegründet und ist dort als Kirche anerkannt. Sie wird wissenschaftlich meist den Neuen Religiösen Bewegungen zugerechnet. In Deutschland gilt sie wahlweise als Sekte, Psycho-Konzern, Gewerbebetrieb mit Gewinnabsicht oder schlicht als extremistische Organisation. Erst vorige Woche noch bekräftigte das Bundesinnenministerium seine Auffassung, dass Scientology „keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft“ sei. Die Ziele seien „eindeutig auf wirtschaftliche Aktivitäten ausgerichtet“. Zudem gebe es „tatsächliche Anhaltspunkte“ für Bestrebungen, die „gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind“. Seit 1995 wird Scientology in fast allen Bundesländern vom Verfassungsschutz beobachtet. Die Hamburger Zentrale von Scientology befindet sich in der Domstraße in der Innenstadt, die niedersächsische in der Odeonstraße in Hannover. Zudem sollen im Hamburger Speckgürtel Unterorganisationen und Unternehmen sitzen. In Garbsen bei Hannover hat die Deutschland-Zentrale von Applied Scholastics ihren Sitz, einer Scientology-Organisation für Jugendarbeit. SMV
Von Sven-Michael Veit
Der Sohn und die Stieftochter der Berliner Scientology-Direktorin Kirsten Austinat sind nach Hamburg geflohen. Hier befinden sie sich seit Ende voriger Woche in der Obhut der Jugendbehörde. Das bestätigte die Leiterin der Arbeitsgruppe Scientology des Senats, Ursula Caberta, gestern im Gespräch mit der taz nord. Die beiden seien „sicher untergebracht“ und würden „in Ruhe beraten“.
Der 25-jährige Mann hatte sich entschlossen, aus der Scientology-Sekte auszusteigen und Berlin zu verlassen. Seine 14-jährige Stiefschwester entschloss sich daraufhin, ihn zu begleiten. Zum einen werden „Verräter“ von Scientology für gewöhnlich geächtet, so dass sie ein Kontaktverbot befürchtete. Zudem wollten ihr Vater und die Stiefmutter sie im nächsten Monat in ein Internat von Scientology nach Dänemark schicken.
Das Mädchen wolle jedoch, so berichtet Caberta, „an einem normalen Gymnasium Abitur machen“. Die 14-Jährige, über deren genaue Identität keine Angaben gemacht wurden, habe ihr gegenüber „sehr klar formuliert, was sie will“, sagt Caberta. Es bestehe kein Zweifel, dass sie Berlin, ihr Elternhaus und Scientology „wohlüberlegt und freiwillig“ verlassen habe.
Nach Hamburg seien die beiden Geschwister nach eigenen Angaben gekommen, weil es hier mit der Dienststelle Scientology in der Innenbehörde die bundesweit einzige offizielle Anlaufstelle für Sekten-Aussteiger gibt. Die 52-jährige Caberta, die schon etliche Aussteiger betreut hat, leitet die Arbeitsgruppe bereits seit deren Einrichtung 1992. Damals sorgte Scientology vor allem mit dubiosen Maklerbüros für Aufregung, die in großem Stil Häuser aufkauften, Miet- in Eigentumswohnungen umwandelten und mit Gewinn weiterverkauften.
Inzwischen sind die Eltern in der Hansestadt eingetroffen. Unter Aufsicht von Mitarbeitern der Jugendbehörde trafen sie sich am Montag mit ihren Kindern zu einem Gespräch. Caberta hofft darauf, dass die Eltern sich den Wünschen der 14-Jährigen „nicht in den Weg stellen“. Sonst müsse ihnen gegebenenfalls durch ein Familiengericht das Sorgerecht für das Mädchen entzogen werden.
Nach Cabertas Einschätzung werde es sehr wahrscheinlich nicht notwendig sein, den Geschwistern neue Identitäten und Biografien an einem anderen Wohnort zu verschaffen. Aus ihrer Tätigkeit kenne sie nur einen Fall, in dem ein Scientology-Aussteiger „eine Zeit lang Polizeischutz bekam“. Inzwischen aber würden Menschen, welche die Organisation verlassen, sehr bald in Ruhe gelassen.
In den USA gilt die 1954 gegründete Organisation als Kirche, in Deutschland wahlweise als Sekte, gewinnorientierter Psycho-Konzern oder extremistische Organisation. In den meisten Bundesländern wird sie vom Verfassungsschutz beobachtet. Nach Ansicht des Bundesinnenministeriums ist Scientology „keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft“. Die Ziele seien „eindeutig auf wirtschaftliche Aktivitäten ausgerichtet“. Zudem gebe es „tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür, dass die Organisation Bestrebungen verfolge, die „gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind“.
Bekanntester Scientologe ist der US-Schauspieler Tom Cruise, der zurzeit in Berlin als Hitler-Attentäter Graf Stauffenberg vor der Kamera steht. Auf Initiative von Antje Blumenthal, Hamburger CDU-Bundestagsabgeordnete und Sektenbeauftragte der Unionsfraktion, verhängte das Verteidigungsministerium ein Drehverbot für den „Bendlerblock“, in dem die Gruppe um Stauffenberg das Attentat geplant hatte. Dass der bekennende Scientologe Cruise einen Widerständler gegen ein totalitäres Regime spielt, findet Caberta geschmacklos. Gut gefallen habe er ihr aber „als fieser Blutsauger in ‚Interview mit einem Vampir‘“.
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