: Um der Stadt eine Krone aufzusetzen
VISIONÄRES BAUEN Einschüchterung oder Verzicht auf Pathosformeln: Die Ausstellung „Eine Stadtkrone für Halle“ kann Stadtplanungen inspirieren
VON MICHAEL KASISKE
„Wäre der Entwurf von Walter Gropius umgesetzt worden, wäre das Museum jetzt in einem Schlüsselbau der Moderne untergebracht.“ Katja Schneider kam bei der Eröffnung der Ausstellung „Eine Stadtkrone für Halle Saale“ ins Sinnieren. Die Direktorin der Stiftung Moritzburg schien der Vorstellung von einem lichten Gebäude mit einer vorgesehenen Wandfläche von eineinhalb Kilometer Länge zu erliegen. Doch der Architekturwettbewerb von 1927, zu dem Gropius einen Entwurf einreichte, ist vor allem ein Abbild der widerstreitenden politischen Situation jener Zeit – von dem man sich allerdings bis heute stadtplanerisch inspirieren lassen kann.
Damals hatte die Stadt ein kulturelles Zentrum auf dem Lehmanns-Felsen, einem Plateau über der Saale, ins Auge gefasst. Neben dem Museum, das damals bereits eine beachtliche Sammlung expressionistischer Kunst besaß, wurden eine Stadthalle für 3.000 Personen und Sportflächen geplant. Für den seit zwei Jahrzehnten amtierenden Oberbürgermeister Robert Rive war die „Akropolis für Halle“, wie die Zeitungen schrieben, Teil der Modernisierung zur Großstadt.
Schon 1920 hatte ein Ideenwettbewerb für die Stadthalle unter den lokalen Architekten stattgefunden. Dabei erhielt Eugen Kaufmann, ein heute unbekannter Architekt, zwar nur den dritten Preis, doch er erregte Aufsehen: Er hatte sich über den vorgegebenen Standort hinweggesetzt und sein aus der Halle und einem Hochhaus bestehendes Ensemble auf Lehmanns-Felsen platziert.
Damit wurde diese herausgehobene Lage zur Vorgabe für den sieben Jahre später laufenden Wettbewerb – ganz im Sinn einer für alle sichtbaren Gemeinschaftsanlage. Der Ort für das Volk war eine Forderung der sozialistischen Bewegung. Im republikanischen Frankreich hatte Tony Garnier bereits 1901 eine ideale „Cité Industrielle“ vorgestellt, in deren Mitte ein Versammlungshaus stehen sollte, verziert mit Zitaten aus Émile Zolas „Ich klage an …“. In Deutschland hatte Bruno Taut die Idee der Stadtkrone im Umfeld des 1918 gegründeten Arbeitsrates für Kunst formuliert.
An diesen Geist gemahnen die ausgestellten sechs Entwürfe in unterschiedlicher Form. Die beiden zweiten Preise – auf einen ersten Preis hatte sich die Jury nicht einigen können – zeigen einschüchternde Versionen: Auf dem höchsten Punkt des Plateaus thronen die Stadthallenentwürfe von Emil Fahrenkamp sowie von Paul Bonatz und Eugen Scholer, den Architekten des heute gefährdeten Stuttgarter Hauptbahnhofs, monumental über der Saale.
Bei Bonatz und Scholer steht die kubisch geformte Halle zwischen Häusern mit Satteldach im Heimatstil; die große Geste findet sich in einer 16 Meter breiten Treppenanlage, die eine Höhe von 14,5 Metern überwindet. Fahrenkamps Entwurf ist klassischer: Stadthalle, Museum und Turnhalle sind durch hohe Pergolen verbunden und nähern sich mit dem Verzicht auf Zierrat moderner Sachlichkeit; der heroische Ausdruck nimmt die faschistischen Bauten Mussolinis für Rom vorweg.
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht allerdings der Beitrag des Bauhaus-Direktors Walter Gropius, obwohl dieser – wie Hans Poelzig – in der ersten Runde ausgeschieden war. Denn das Preisgericht dominierte neben den beiden konservativen Architekten Fritz Schumacher und German Bestelmeyer der ebenfalls traditionell orientierte Stadtbaurat Wilhelm Jost.
Die Halle von Gropius sieht äußerlich wie ein schwarzes, in die Länge gezogenes Ei aus, das unten in einer dreigeschossigen Bebauung liegt und oben von einem Gerüst gehalten wird. Der Innenraum verdankt seine Form ausgefeilten akustischen Studien. Das Gerüst steht auf zehn transparenten Treppenhäusern, von denen vier mit Fahrstühlen ausgerüstet sind, um die Besucher auf eine Aussichtsplattform in 32 Meter Höhe zu bringen.
Erstaunlich an Gropius’ Entwurf ist die durch Transparenz gedämpfte Monumentalität und der Verzicht auf jede Pathosformel wie breite Straßen, große Plätze oder Höfe. Im Gegenteil, aus heutiger Sicht mutet die Architektur fast allzu nüchtern-funktional an. Damit setzt er sich auch von den drei anderen berühmten Kollegen ab: Wilhelm Kreis, der für seinen zwischen Moderne und Akademie oszillierenden Entwurf den dritten Preis erhält, dem älteren Peter Behrens, dessen Entwurf farblos und altbacken wirkt, und Hans Poelzig mit seiner ellipsenförmigen Halle, die auf den Kohlezeichnungen einer Festung zu gleichen scheint. Anschaulich wird das individuelle Verständnis von einer „Stadtkrone“ anhand der Modelle von den sechs Entwürfen, die eigens für die Ausstellung gebaut wurden.
Das umstrittene Vorhaben auf Lehmanns-Felsen wurde mit der Wirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre „auf unbestimmte Zeit“ verschoben. So verblieb das Museum, in dem nun der Wettbewerb rekonstruiert wird, zwangsläufig in der Moritzburg. Dank seiner 2008 abgeschlossenen Erweiterung hat es inzwischen aber einen eigenen, aktuellen Ausdruck erhalten.
■ Bis 9. Oktober, Stiftung Moritzburg, Halle (Saale). Katalog 19,80 Euro; ab 26. Okt. im Bauhaus-Archiv, Berlin
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen