: Tricks dein Gehirn aus
Per Mantra zum anderen Ich: In der Akademie der Künste können junge Schauspieler für ein paar Tage von der „True Action“ bis zum „Fine Tuning“ mit Lehrern aus den USA und England arbeiten
VON ANDREAS RESCH
Am Samstagvormittag, kurz vor 10 Uhr, ist die Stimmung unter den knapp zwanzig Seminarteilnehmern in der Akademie der Künste bereits äußerst gelöst. Viele kennen sich schon, auch die anderen kommen schnell ins Gespräch. Nach ein paar Minuten betritt ein hagerer, schwarz gekleideter Mann den sonnendurchfluteten Raum und bittet die Anwesenden, einen Kreis zu bilden, sich an den Händen zu fassen und beim Ausatmen ein langgezogenes „Ah“ von sich zu geben. Nach so viel Good Vibrations darf wieder Platz genommen werden, und Larry Silverberg aus New York beginnt mit seiner Einführung in die „Meisner Technique“.
Sein Kurs ist einer von vieren, die bis zum 11. August unter dem Titel „Bausteine des Kinos. Beruf: Filmschauspieler“ in der Akademie der Künste am Hanseatenweg stattfinden. Eigentlich hätten die Kurse Bestandteil eines umfangreicheren Programms sein sollen. Doch im Verlauf der Vorbereitungen ist ein Streit zwischen Kurator Heiner Mühlenbrock und der Akademie eskaliert. Während der Kurator, mittlerweile seines Amtes enthoben, der Akademie vorwirft, seine Arbeit torpediert zu haben und von „sturer Bürokratie“ spricht, hält diese ihm vor, mehrere Deadlines versäumt zu haben. Letztlich sind vom ambitioniertem Konzept, in dem auch Filmvorführungen, Podiumsdiskussionen und Regieworkshops vorgesehen waren, nur die Schauspielseminare geblieben.
„Ein guter Schauspieler muss einen Text so wiedergeben können, als habe er die Dinge selbst erlebt, die seiner Figur widerfahren.“ Dieses Mantra wiederholt Larry Silverberg immer wieder. Wenn er mit sanfter Stimme von der Notwendigkeit spricht, in jedem Moment präsent zu sein, klingt er beinahe wie ein Erleuchteter. Ein Eindruck, der sich noch weiter verfestigt, als er erzählt, dass er sein Leben verschlafen habe „bis Sandy“ kam.
Mit „Sandy“ meint Larry Silverberg seinen Guru Sanford Meisner, der in den Dreißigerjahren gemeinsam mit Lee Strasberg am New Yorker „Group Theatre“ gearbeitet und später Schauspieler wie Gregory Peck, Grace Kelly, John Voight oder Robert Duvall unterrichtet hat. Der Pfad zur Erleuchtung, daran lässt Larry Silverberg keinen Zweifel, ist lang und steinig. Es brauche eine Menge „Training“, bis man in der Lage sei, „reale Emotionen mit fiktiven Ereignissen zu verknüpfen“.
Bis es so weit ist, müssen die Kursteilnehmer erst einmal ihren „Deeper Wish“ formulieren, einen Satz, der ihr Lebensziel zusammenfasst. Den sollen sie auf einen Zettel schreiben, in einen Umschlag stecken, sieben Jahre liegen lassen und danach prüfen, ob er sich geändert hat. Als Vanessa, eine Frau Mitte zwanzig, sagt, die Idee habe ihre „Seele zum Lächeln gebracht“, antwortet Larry Silverberg salbungsvoll: „Oh, das ist wundervoll.“ Eine Floskel, die er bei so ziemlich jeder Gelegenheit anbringt, wenn er nicht gerade „danke, das ist großartig“ sagt.
Dann werden zwei Frauen und ein Mann gebeten, sich an etwas ganz furchtbar Ekliges zu erinnern. Anschließend soll jeder von ihnen dem Publikum beweisen, dass seine Erinnerung scheußlicher ist als die der anderen. Nachdem Silverberg das Signal gegeben hat, radebrechen und gestikulieren die drei wild drauflos – so lange, bis sie ermahnt werden: „Ihr müsst die Zuschauer überzeugen.“
Lustig wird es, als eine ältere Dame und ein Zwanzigjähriger ein Liebespaar im Kino verkörpern sollen. Sie will ihn dazu bringen, ihr einen Heiratsantrag zu unterbreiten, er möchte an ihr Portemonnaie gelangen. Die Frau greift also schmachtend nach der Hand des Mannes, doch der ist schon längst dabei, über die Lehne seines Stuhls zu klettern, um sich von hinten an ihre Handtasche heranzupirschen. Während die Zuschauer noch lachen, erzählt Larry Silverberg schon, dass der Zweck dieser Übung darin bestehe, zu erkennen, wie sehr Schauspieler auf ihren Partner angewiesen seien.
In ihrer intellektuellen, beinahe bedächtigen Art ist die Britin Mel Churcher so ziemlich das Gegenteil des Heilsverkünders Larry Silverberg. Lässig auf dem Bühnenrand sitzend, spricht sie in ihrer Vorlesung von der Notwendigkeit, das Gehirn beim Spielen auszutricksen, davon, dass „Schauspielen auf der einen Seite wie ein Kinderspiel“ sei, gleichzeitig jedoch völlig unnatürlich, da es nun einmal Zuschauer gebe.
Dann bittet sie eine junge Schauspielerin auf die Bühne, um Fragen zu ihrer derzeitigen Lebenssituation zu beantworten: Wie ihre Wohnung aussieht, ob sie allein lebt, was sie in letzter Zeit zum Lachen gebracht hat? Währenddessen wird die Mimik der Frau auf eine Leinwand projiziert, und Mel Churcher erklärt, dass es ihr darum gehe zu zeigen, „was passiert, wenn Gedanken sichtbar werden“.
Wenn sie im weiteren Verlauf des Abends Atemübungen vorführt oder über die Unterschiede zwischen britischem und amerikanischem Kino reflektiert, ist man ihr irgendwie permanent dankbar dafür, dass sie im Gegensatz zu Larry Silverberg keine Weltanschauung verkaufen möchte. Aber vielleicht ist der auch schon so sehr mit seiner Rolle verschmolzen, dass man ihn und „Sandy“ gar nicht mehr voneinander trennen kann.
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