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DDR mit Halbpension

Im Berliner Ostel erleben die Gäste das Wohndesign des Sozialismus. Und die Rezeptionistin freut sich, im Ambiente ihrer Kindheit zu arbeiten

VON JOHANNES GERNERT

Liliana Lehman sitzt mit einem Bleistift im blonden Dutt hinter der graubraunen Rezeption und schämt sich nicht. Hier geht das mit dem Osten in Ordnung. Im holzverkleideten Fernsehmöbel läuft die „Aktuelle Kamera“ in Dauerschleife; Erich Honecker und Fidel Castro, Arm in Arm, 1980. Die Sofas in der Lobby sind schokoladenbraun, der Teppich ist blutwurstrot.

Lehmann hat vorher in einem anderen Hotel gearbeitet, wo man von ihr verlangte, dass sie sich ihren brandenburgischen Akzent abgewöhnt und wo ständig jemand zu ihr sagte: „So macht man das vielleicht bei euch im Osten.“ Im Ostel am Berliner Ostbahnhof aber, nicht weit vom Redaktionsgebäude des Neuen Deutschland, darf die Rezeptionistin mit Stolz Ossi sein, sagt sie. Hier ist ihre DDR-Erfahrung gefragt.

Im Mai eröffneten Daniel Helbig und Guido Sand das DDR-Design-Hotel mit Ost-Radios, Siebzigerjahre-Tapeten und Porträtfotos von führenden DDR-Politikern auf den Zimmern. Beide waren bis zur Wende Artisten im Staatszirkus, der eine Seiltänzer, der andere Schleuderbrettakrobat. Nach der Wende und der Insolvenz des Zirkus wurde Helbig Cutter, während Sand als Physiotherapeut arbeitete. Irgendwann kam ihnen die Idee, ein günstiges Ostalgie-Hotel in einem Plattenbau aufzumachen. Noch bevor sie Räume gefunden hatten, suchten sie auf Flohmärkten, in Kellern von Bekannten und im Internet nach Möbelstücken, Porträtbildern und alten Tapeten. In einem Zimmer stehen edle Holzmöbel aus Wandlitz, wo einst Honecker und Genossen logierten.

Seit seiner Zeit im Zirkus habe sich für ihn wenig geändert, sagt Helbig: „Erlebniswohnen ist ja auch Unterhaltung.“ Verklären wollen sie die DDR nicht, das sei alles ein Scherz: „Wir wünschen uns nicht den Sozialismus zurück.“ Viele seiner Gäste kämen aus Westdeutschland, andere aus England oder Skandinavien, erzählt Helbig. Die würden sich immer wieder wundern, wie sehr der Ost-Style den heutigen Hotels bei ihnen zu Hause ähnele.

Rüdiger Kleis stellt seinen Koffer neben der Couch in der Lobby ab, er will eine Nacht im Ostel verbringen. Vor zwanzig Jahren war er auf Klassenfahrt in der Hauptstadt der DDR. Er ist Verkehrsfachwirt auf der Durchreise und möchte sehen, was sich in Berlin verändert hat.

Liliana Lehmann hat sich inzwischen zu einem englischen Touristen an eine der Bierbankgarnituren nach draußen gesetzt und erklärt ihm den community spirit der German Democratic Republic. Sie rauchen. Martin Kerrisson ist Kunstlehrer, 35 Jahre alt, trägt blaue Shorts, kurze Haare und ein offenes Hemd. Vom Ostel hat er im Fernsehen erfahren. Er schaut in den Himmel über der grauen Plattenbaufassade und sagt: „Das erinnert mich hier alles an das Glasgow vor zwanzig Jahren.“ Dort ist er aufgewachsen. Die Wände in den billigen Nachkriegsbauten seien genauso dünn gewesen und hätten ebenfalls fast jedes Geräusch durchgelassen. „Da kriegst du ein bisschen Paranoia.“ Zurzeit erkundet er den Prenzlauer Berg, den habe ihm ein befreundeter Deutschlehrer als Bohemien-Viertel empfohlen.

Nachts schläft er für neun Euro im „Pionierlager“, wie die Mehrbettzimmer heißen. Familien können sich für einen Preis zwischen 39 bis 51 Euro in einer Plattenbauwohnung „mit Aufbettungsmöglichkeit“ einquartieren, 59 Euro kostet die exklusive „Stasi-Suite“, und 3,50 Euro zahlt man fürs Frühstück.

Liliana Lehmann ist wieder reingegangen, vorbei an der Vitrine, in der allerlei Ostprodukte ausgestellt sind: Telefone, Russisch Brot, Bambina-Schokolade, Taschenrechner, sogar eine Rolle des rauen DDR-Klopapiers. An diesem Arbeitsplatz werde ihr manchmal ganz warm ums Herz, sagt sie.

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