DAS DING, DAS KOMMT: Sonderling in der Fußgängerzone
EINEN SPAZIERSTOCK braucht eventuell manch einer von denen, die jetzt auf den Spuren des obskuren Multitalents Moondog in Hamburg wandeln – dass der blinde US-Musiker dort in WGs lebte, ist schließlich auch schon etwas her
Ein komischer Kauz war er, jahrelang an derselben Straßenecke in Manhattan und musizierte und dichtete – in Wikingerkluft mit wallendem Bart, weitem Umhang, Speer und gehörntem Helm. Viele beargwöhnten den Sonderling, für andere, etwa den Musiker Leonard Bernstein, war er ein „seltsames Genie“.
Als 16-Jähriger hantierte Louis Thomas Hardin mit Dynamit – und erblindete. Ein Unfall, den er im Nachhinein als Chance verstand, schließlich wäre er sonst wohl nie Musiker geworden. Auf einer Blindenschule in Iowa kam Hardin, der sich nach seinem den Mond anheulenden Blindenhund „Moondog“ nannte, in Berührung mit klassischer Musik. Er lernte Violine, Viola, Piano, Orgel, Harmonielehre, Chorgesang, las über Musik, was er in Blindenschrift finden konnte. Er komponierte meist ohne Instrument, lernte Musiker wie Strawinsky, Toscanini und, klar, Bernstein kennen, hätte beinahe eine Platte mit Jazzer Charlie Parker gemacht, las mit dem Beat-Poeten Allen Ginsberg – und verschwand ganz plötzlich: Nach einer Einladung nach Deutschland kehrte er nicht mehr zurück.
Im Frühjahr 1974 wohnte Moondog, der sich immer schon als „Europäer im Exil“ verstand, mehrere Wochen lang in Hamburger WGs und trommelte später in der Recklinghausener Fußgängerzone. Dort traf er auf die Studentin Illona Sommer, die ihn fortan managte und seine Stücke auf Platte presste: Grundlage für eine begeisterte Wiederentdeckung in den 1990ern. 1997 starb Hardin – in Münster.
In Hamburg gibt jetzt Volker Zander, selbst Musiker, Komponist und Herausgeber von Künstlerschallplatten, der just eine Ausstellung zu Moondog in Köln organisiert hat, eine „Music Lecture“ zu Kauz und Oeuvre. Und lädt außerdem zum Spaziergang zu Moondogs Hamburger Wohnorten, der, ganz nebenbei, von der dortigen Subkultur in den frühen 1970ern erzählt. MATT
Music Lecture: Do, 8. 1., 20 Uhr, Hamburg, Golem; Spaziergang: Fr, 9. 1., 11.30 Uhr, ab Tschaikowskyplatz/Holstenglacis
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