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berliner szenen Mittelstandslatein

Die Anzüge sitzen nicht

Während wir bescheiden von dem leben, was uns die Umverteilungspolitik an Brosamen vom Tische der Wohlhabenden fegt, sorgen sich andere darum, dass es weiter aufwärts geht. Früher taten sie das anderswo und ließen uns damit in Ruhe, doch Dank Berlin-Hype und Aufschwung bekommt man immer häufiger Gelegenheit, Vertreter des berühmten Mittelstandes aus nächster Nähe zu erleben. Neulich zum Beispiel in einem Restaurant in Schöneberg.

Drei mittelalte Männer mit edlen Uhren und teuren, aber schlecht sitzenden Anzügen. Bei Bier und Schlachteplatte geht es um nichts weniger als den Standort Deutschland: „Das Land ist noch lange nicht über den Berg. Wir brauchen Reformen!“ „Die ganzen Verordnungen hemmen nur, in Rumänien arbeiten sie auch ohne Filtersystem, da dürfen wir uns nicht unflexibel zeigen.“ „Unsere Leute müssen lernen, sich in Zeiten der Globalisierung nach der Decke zu strecken – ein bisschen Staub schadet dabei niemand.“ „Wir stehen schließlich international mit im Wettbewerb, die Wärmestuben der sozialen Marktwirtschaft einmal gründlich auszukehren! Die meisten wollen doch gar nicht arbeiten.“ „Sorry, aber bei meinen Renditeerwartungen sind Lohnerhöhungen von zwei bis drei Prozent einfach nicht drin: Inflationsausgleich maximal – sonst hat sich das mit Exportweltmeister!“ „Ich sag mal, alles deregulieren. Nur Wirtschaft macht Wirtschaft. Die ganzen Vorschriften nützen nur den Chinesen.“ „Und Qualitätskontrolle steigert bloß den Ausschuss.“ „Der Staat soll für die Infrastruktur sorgen, verdienen müssen wir – Unternehmertum muss sich doch wieder lohnen.“ „Genau! Und Geldverdienen wieder Spaß machen.“ – „Die Rechnung bitte!“ CARSTEN WÜRMANN

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