: Glücklich nur im Schlaf
Verbarrikadiert im eigenen Körper: Der melancholische Dialog „Maybe Forever“ der beiden Choreografen Meg Stuart und Philipp Gehmacher beschließt den Tanz im August. Selten sah man so viele misslingende Umarmungen
Das ist das Gegenteil von Ausdruckstanz. Das ist ein Tanz über den Körper, der seine Wünsche tief in sich verbirgt. Der Nacken steif, die Schultern hochgezogen, die Ellenbogen vor dem Brustkorb eng geschlossen: Durch diese Haltungen der Abwehr und der Zurückweisung müssen Meg Stuart und Philipp Gehmacher immer wieder in ihrem Dialog „Maybe Forever“. Und doch weiß man durch die Art, wie sie sich die Schulter zeigen und die Rücken zuwenden, wie die Blicke die halbe Strecke zum andern wandern und abirren, wie Arme bitten und Hände nichts als die Leere in ihnen vorzuweisen haben, dass dies ein Stück über die Sehnsucht und die Probleme der Nähe in einer Beziehung ist.
Philipp Gehmacher, einem Choreografen aus Wien, widmete das diesjährige Jahrbuch von ballettanz einen Essay über seine Arbeit mit der Zeit und an der Langsamkeit. Er ist bekannt für eine fast autistisch wirkende Körpersprache, angehaltene und wie festgefrorene Gesten, die eine eigenartige Spannung erzeugen: als ob er den Druck, den die Emotionen, die nicht aus ihm herauskönnen, damit an den Zuschauer weiterreichen würde. Meg Stuart hat sich in vielen Stücken als Choreografin für seelische Notstände und sozialen Druck erwiesen und in den letzten Jahren oft Katastrophenszenarien, die von großem Kulturpessimismus geprägt waren, bearbeitet. Daran gemessen ist das Stück, das sie mit Gehmacher und dem Gitarristen und Sänger Niko Hafkenscheid zusammen entwickelt hat, dann doch von großer Sensitivität und Zärtlichkeit.
Nicht zuletzt ist „Maybe Forever“ von einem melancholischen Witz geprägt. Es beginnt mit einer nächtlichen Szene, einer Art Wanderung durch den Schlaf, und in diesem Zustand des heruntergefahrenen Bewusstseins verstehen sich die beiden am besten. Da passen Wangen in Nackenkuhlen, Schultern lehnen sich aneinander, Bauch drückt sich an Rücken und sie rollen übereinander und auseinander, bis in dem dunklen Soundtrack mit den Möwenschreien der Tag kommt. Später dann steht Meg Stuart eine Szene lang vor einem Mikrofon und lebt eine Beziehung nur in der Rückblende: „Erinnerst du dich, als ich dir die Postkarte schrieb, ich wünschte, du wärest hier. Das nehme ich zurück. Erinnerst du dich. als ich sagte, du bist ganz entschieden nicht mein Typ. Das nehme ich zurück.“ Und in diesen von vornherein zum Scheitern bestimmten Versuch, Vergangenheit zur revidieren, rutschen ihr die Arme wie zu einem Hilferuf nach oben und zerren sie aus ihren Sätzen.
Die Lieder von Niko Hafkenscheid zelebrieren den Liebesschmerz und den Trost von Blues und langsamen Walzer in einer fast schon verboten schnulzigen Tonart. Sie verklären in ein konsumierbares Gefühl, was vor unseren Augen immer wieder schief geht. Wohl noch in keinem Tanzstück von nur zwei Personen sah man so viele misslingende Umarmungen und so viele absurde Umwege der Hände, die nicht mehr weiterwissen. Zusammen mit den Texten wird daraus mehr, als nur eine Momentaufnahme; sondern eine langjährige Geschichte lässt sich denken.
Tanztheater als Kammerspiel: Mit diesem Stück, das an der Volksbühne Ende September, Oktober wieder aufgenommen wird, endete das Festival Tanz im August und konterkarierte die neue Lust an der Bewegung in seiner spröden und störrischen Art. Es ist keine große Geschichte, die erzählt wird, und auch keine neue. Aber in der Zusammenflechtung von Text, Bewegung und Musik entsteht doch eine sehr eigene und einprägsame Erzählweise.
KATRIN BETTINA MÜLLER
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