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Die andere Hälfte

ISLANDSAGA (1) Die Buchmesse wirft ihre Schatten voraus. Wobei die Literatur des Gastlandes Island für viele eine Terra incognita ist

Ich war noch nie da, und ich kenne auch keine Isländer. Sicher, in meiner Zwischenprüfung Germanistik kam die „Edda“ vor, jener isländische Vorläufer zum Nibelungenlied; eine sagenreiche Sammlung von göttlichen Unmöglichkeiten, die ich aber natürlich nie wirklich gelesen habe. An den hammerschwingenden Thor erinnere ich mich; an die „Weltesche“ Yggdrasil; und an dieses Schiff, das am jüngsten Tag gesegelt kommen wird und schön martialisch aus was besteht? Aus abgelegten Finger- und Zehennägeln der Menschen.

Viel mehr weiß ich nicht über Island. Was ich weiß, ist, dass es im Amerikanischen ein modernes Sprichwort gibt, das in etwa dem deutschen „Vom Regen in die Traufe“ entspricht: „That’s just like moving from Iceland to Finland.“ In Helsinki bin ich einmal gewesen. Ich erinnere mich an eine Party in einer Strandvilla, bei ungefähr 20 Grad Celsius sah man fahle, nackte Körper aus der Sauna in Richtung Wasser tapsen – manche Klischees stimmen halt eben doch – und später in Handtüchern gewickelt auf der Party sitzen. Auf der Terrasse des alten weißen Holzhauses – Innenklo gab es nicht – lernte ich dann tatsächlich einen Isländer kennen, der von seiner Insel nach Finnland gezogen war. Ich musste sehr lachen. Das amerikanische Sprichwort kannte er auch.

Also, ich war noch nie in Island, aber es ist der Wahnsinn, was die Verlage gerade an Isländischem ausgegraben haben. Ihre Vorschauen sind voller Bücher von Isländern über Island und anderes. Also Hunderte Bücher, dabei hat Island nur etwas mehr als 300.000 Einwohner, noch weniger als Malta; kann man sich Malta als Gastland der Buchmesse vorstellen? Wohl kaum. Und hatte man bisher nicht gedacht, die Hälfte der Insel würde aus Musikern bestehen? Selbst in meinem Plattenschrank steht es zwischen Island und Malta, zieht man die Phillip-Boa-Alben, die er auf Malta produziert hat, ab, locker 5:0. Also, wir wissen jetzt, was die andere Hälfte der Isländer macht. Bücher schreiben.

Aber bevor wir ins Detail gehen, kommen wir auf die Sagen zurück. Eines herbstlichen Sommertages in Deutschland kam bei mir ein großes Bücherpaket an, es handelte sich um die Kassette „Islandsagas“ aus dem S. Fischer Verlag; fünf feine Bücher voll mit alten Geschichten und den Erklärungen dazu. Wann soll man die lesen? Vielleicht in einem Winter auf Island. Einen Tag später sah ich mehr oder weniger zufällig Denis Scheck zu, wie er für seine kleine Buchsendung „Druckfrisch“ mal wieder das komplette Reisebudget des WDR ganz allein auf den Kopf haute. Erst stand er auf dem New Yorker Time Square, um zwei Minuten lang irgendein uramerikanisches Buch vorzustellen; dann, Schnitt, saß er für einen fünfminütigen Shot samt Team in einer isländischen Felsenlandschaft und interviewte Arthur Bollason, der perfektes Deutsch sprach und eben von jenen Sagas erzählte, die auch bei mir in fünf gewichtigen Bänden herumlagen.

Und was stellte sich heraus? Dass es diese Kassette auch schön gebündelt als ein Hörbuch gibt, nämlich als CD-Projekt „Die Saga-Aufnahmen“, erschienen im Berliner supposé Verlag. Unter anderem vorgelesen von ebenjenem Arthur Bollason. Also, wer die dicke Kassette nicht mit in den Urlaub nehmen will, weil zu schwer und fürs Handgepäck untauglich, ist mit der CD bestens bedient. Andererseits findet man dort aber auch keine schönen Abbildungen und Landkarten – zum Beispiel die der Routen der Wikinger, die gar nicht nach Island kamen, sondern von ungefähr Uppsala oder Oslo schön südwärts geschifft sind, um zu plündern und unverständlicherweise nicht zu bleiben. Oder wusste jemand, dass sie es über Weichsel, Moldau, Schwarzes Meer und Konstantinopel bis nach Palästina geschafft haben? RENÉ HAMANN

■ Island ist das diesjährige Gastland der am 11. Oktober beginnenden Frankfurter Buchmesse. Über seine Leseerfahrungen der vielzähligen aus diesem Anlass ins Deutsche übersetzten isländischen Bücher berichtet unser Autor bis dahin in loser Folge.

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