: „Klassik hat hier den Großmutter-Touch“
Er hat wenig Entscheidungsspielraum und eine ungewisse Summe Geldes zur Verfügung. Trotzdem glaubt Christoph Lieben-Seutter, seit einer Woche offiziell amtierender Intendant der 2009 eröffnenden Hamburger Elbphilharmonie, dass er ein konstant hochkarätiges Programm bieten kann
CHRISTOPH LIEBEN-SEUTTER, 43, war seit 1996 künstlerischer und kaufmännischer Leiter der Wiener Konzerthausgesellschaft. Seit 1. August ist er Intendant der Elbphilharmonie.
INTERVIEW: PETRA SCHELLEN
taz: Herr Lieben-Seutter, werden Sie mit Mahlers Sinfonie der 1.000 eröffnen?
Christoph Lieben-Seutter: Mit diesem pompösen Werk sicher nicht. Man muss den Saal ja nicht gleich am ersten Tag bis in den letzten Winkel mit Musikern füllen.
Womit dann? Mit einem lokalpatriotischen Auftragswerk?
Ich weiß es noch nicht. In jedem Fall werden aber das NDR-Sinfonieorchester als Residenzorchester sowie die Hamburger Philharmoniker eine Rolle spielen. Ein Auftragswerk – vielleicht.
Das Profil der drei Elbphilharmonie-Säle sowie der auch zu bespielenden Laeiszhalle?
Im großen Saal der Elbphilharmonie werden große Solisten-, Orchester- und Chorkonzerte stattfinden. In deren kleinem Saal wird es Kammermusik, Liederabende, auch neue Musik geben. Außerdem eine Reihe mit alter Musik. Im Elbphilharmonie-Studio werden musikpädagogische Aktivitäten sowie Künstlergespräche und jede Art von experimenteller Musik stattfinden. Der große Saal der Laeiszhalle wiederum eignet sich gut für nicht allzu groß besetzte Werke der Klassik und Romantik bis zu Bruckner. Die Entscheidung, was wo gespielt wird, wird aber letztlich auf anderen Kriterien basieren. Denn es werden natürlich alle in der Elbphilharmonie auftreten wollen. Ich kann deshalb noch nicht genau sagen, mit welchen Tricks wir Veranstalter und Künstler in die Laeizhalle locken werden. Möglicherweise wird Nichtklassisches eher in der Laeiszhalle beheimatet sein.
Was zu einer Hierarchisierung führen könnte, wenn die Laeiszhalle nur noch für Seichtes herhalten muss…
Wir planen keine seichten Konzerte.
Sie finden Populärmusik nicht seicht?
Nein.
Aber sie zieht die Massen.
Das kann, muss aber nicht sein. Auch Klassik kann seicht sein. Und wenn wir Populärmusik machen, dann muss sie denselben Qualitätskriterien genügen wie unsere klassischen Konzerte. Ich rede hier ja nur von den Konzerten, die die Elbphilharmonie selbst veranstaltet. Das werden 35 Prozent sein.
Die übrigen 65 Prozent teilen sich das Residenzorchester und das Philharmonische Staatsorchester sowie private Veranstalter. Stört es Sie, dass Sie deren Programme nicht beeinflussen können?
Nein. Außerdem haben wir vereinbart, einander regelmäßig zu informieren – schon, um Doubletten zu vermeiden. Außerdem habe ich den Eindruck, dass alle an einer guten Kooperation interessiert sind.
Aufgrund des Residenzorchesters – der NDR-Sinfoniker – sind Sie auch in der Terminplanung nicht frei. Wie oft wird dieses Orchester spielen?
Sie werden jährlich 35 Konzerte geben.
Und wie viel entfallen auf das auch interessierte Philharmonische Staatsorchester?
Rund 25 in der Elbphilharmonie. Die Philharmoniker, die ja eng mit der Oper verbunden sind, haben sogar ein beschränktes Vorbuchungsrecht, nach dem sich auch das NDR-Sinfonieorchester richten muss.
Sie sagten einmal, Hamburg habe kein Eins-A-Orchester, was Ihnen die NDR-Sinfoniker ein bisschen übel nahmen. Ist ausgeschlossen, dass die sich noch mausern?
Abgesehen davon, dass ich das im Kontext einer Podiumsdiskussion gesagt und nicht abwertend gemeint hatte: Das ist überhaupt nicht ausgeschlossen. Die NDR-Sinfoniker sind ausgezeichnete Musiker. Und die Elbphilharmonie wird dem Orchester einen weiteren Schub geben: mehr internationale Ausstrahlung, mehr Publikum, mehr hochkarätige Dirigenten.
Wenn NDR-Sinfonieorchester und Philharmoniker schon die große Orchesterliteratur spielen: Was wollen Sie bei den verbleibenden 35 Prozent der Konzerte dann noch bieten?
Es gibt viele, die in Hamburg bislang nicht auftreten oder wenn, dann nur mit Standardprogrammen. Wir werden zum Beispiel Welt-Toporchester in Residenz einladen. Das heißt, sie bleiben eine Woche in der Stadt, geben drei Konzerte, spielen Kammermusik und machen ein educational project.
Welche könnten das sein?
Überraschung.
Anhand welcher Kriterien werden Sie als Elbphilharmonie-Vermieter entscheiden, wer wie viel spielen darf?
Abgesehen vom NDR-Sinfonieorchester habe ich nicht vor, Vorbuchungsrechte oder Quotenregelungen einzurichten. Ich werde auch nicht unsere eigenen Konzerte bevorzugen. Was mich interessiert, ist ein konstant hohes Niveau.
Apropos Niveau: Wenn Hamburg 3,6 Millionen Euro zuschießt, die Höhe der Betriebskosten aber noch unklar ist: Sind Sie sicher, dass Sie sich Top-Orchester leisten können?
Es kommt darauf an, wie viel man davon macht. Ich werde nicht ununterbrochen Top-Orchester bieten können, denn die Finanzlage hängt ja auch von Platzauslastung und Preisgefüge ab. Für die erste Saison kann man damit rechnen, dass wir sehr gut ausgelastet sein werden – egal, was wir machen. Diese Chance müssen wir nutzen: Alle, die kommen, um das Gebäude anzuschauen, müssen wir zu Stammkunden machen. Die müssen ihre Adresse und E-Mail dalassen, sie bekommen eine Kundenkarte und so weiter – damit ich sie künftig mit speziellen Vorschlägen oder Angeboten ansprechen kann.
Sie haben mal gesagt, das Marketing müsse „state of the art“ sein. Welche revolutionären Maßnahmen meinten Sie?
Wir werden natürlich das Rad nicht neu erfinden. Aber es gibt Strategien, die in anderen Städten praktiziert werden, in Hamburg im Bereich der klassischen Musik aber noch nicht üblich sind. Das reicht von den Plakaten über die Öffentlichkeitsarbeit bis zur Internet-Seite.
Glauben Sie, dass durch geschickte Öffentlichkeitsarbeit beliebig viele neue Klassik-Hörer akquirierbar sind?
Theoretisch ja. Ich fange ja gerade erst an, die Szene zu beobachten. Im Pop- und Jazz-Sektor ist Hamburg jetzt schon top. Hier kommt alles vorbei – vom Geheimtipp bis zum Superstar. Und diese Konzerte sind gut ausgelastet. Wenn wir nur fünf Prozent dieser Besucher dazu bewegen, einmal im Jahr ein Klassik-Konzert zu besuchen, haben wir schon -zigtausend Plätze verkauft. Das Problem ist allerdings, dass Klassik in Hamburg so einen Großmutter-Touch hat. Davon müssen wir wegkommen.
Reden wir über Preise: Bleiben Sie dabei, dass die Elbphilharmonie auch Konzerte zum Kinokarten-Preis bieten wird?
Ich kann nicht beschwören, dass es sich mit dem Kino ausgeht, aber es ist mir ein dringendes Bedürfnis, dass man so mit derselben Selbstverständlichkeit und Regelmäßigkeit ins Konzert geht wie ins Kino. In Wien bietet die Oper Stehplätze für drei Euro 50, der Musikverein für fünf Euro. Was dazu geführt hat, dass die Leute täglich zu Hunderten in diese Konzerte gehen.
Also Stehplätze auch für die Elbphilharmonie?
Ich hoffe, dass es zumindest ein kleines Stehplatz-Kontingent geben wird. Unabhängig davon ist mir wichtig, dass es genügend supergünstige Plätze und auch bei hochkarätigen Konzerten immer auch billige Kategorien gibt – etwa eine Staffel von zehn bis 100 Euro. Denn wir wollen keine Eliteveranstaltung sein, und wir wollen auch jugendliche Besucher haben.
Sind Sie sicher, dass Sie Billigplätze dauerhaft finanzieren können?
Ich denke, dass sich für solche Dinge Gelder finden lassen. Wenn ich etwa sage: Ich kann mir nicht leisten, für die Berliner Philharmoniker genug billige Karten anzubieten, bin ich überzeugt, dass sich eine Stiftung oder Firma findet, die dies speziell unterstützt.
Wie groß wird Ihr Budget sein?
Kann ich noch nicht sagen. Das hängt von meinem Geschick ab. Das Budget setzt sich ja – neben den Subventionen – zusammen aus den Vermietungen an Orchester und Privatveranstalter, Kartenerlösen und Drittmitteln.
Wird Geld für ein Elbphilharmonie-Festival dasein?
Wir planen mehrere. Aber ein zentrales jährliches Festival werden wir sicher im Frühjahr ausrichten.
Wie wird das aussehen?
Es wird ein eher prestigeträchtiges Festival sein, das auch auf Touristen zielt.
Mit konservativem Programm?
Mit einem aufregenden Programm. Wobei ich ein solches Festival am liebsten gemeinsam mit anderen Kulturinstituten der Stadt veranstalten würde.
Angesichts der zahlreichen Zwänge: Sehen Sie sich als Verwalter oder als Gestalter mit musikalischem Ehrgeiz?
Ich richte meinen Ehrgeiz darauf, ein Programm zu bieten, das anspruchsvoll, qualitativ hochwertig, überraschend ist – und das trotzdem gut ankommt.
Wer bei allen beliebt sein will, erzeugt verwaschenes Grau.
Das Programm des Wiener Konzerthauses war nicht verwaschen. Und es hat funktioniert.
Aber Hamburg tickt anders.
Ja, ich habe auch kein Patentrezept. Was wir machen werden, hängt auch davon ab, was es in der Stadt noch nicht gibt und zu welchem Preis es was gibt. In der Nichtklassischen Musik könnte ich mir ein Singer-Songwriter-Festival vorstellen – oder eins mit sakraler Musik aus aller Welt. Außerdem werden wir gute Popkonzerte anbieten. Da könnte ich mir Künstler vorstellen, die ein Gespür für den Ort und seine Akustik haben. Das könnten Musiker wie Nick Cave oder Rufus Wainwright sein.
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