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berliner szenen Foucault im Bett

Überwachen und Schlafen

Das Gefühl verreisen zu müssen, das ihn seit er in dieser Stadt lebe ständig begleite, führe in letzter Zeit dazu, dass er ganze Tage im Bett verbringe, sagte mir ein Bekannter. Was machst du gerade, fragte ich durchs Telefon. Ich liege im Bett. Aber es ist schönes Wetter, protestierte ich. Prompt scholl es zurück: Wer sein Leben vom Wetter abhängig macht, ist ein Bauer. Während wir sprachen, stimmte sich unter meinem Fenster die kinderreiche Hausgemeinschaft fröhlich lärmend auf einen Grillabend ein. Ich stellte mir meinen Bekannten vor: Die Vorhänge geschlossen, die Fernbedienung und eine Tüte Kartoffelchips in Matratzennähe. Ich wusste nicht recht. Um mich abzulenken, besuchte ich in schneller Folge eine Vernissage mit isländischer Folkuntermalung, einen marokkanischen Imbiss und eine Bar, in der gerade ein kompletter Jahrgang amerikanischer Studenten zu Kim Wilde und Milli Vanilli die Beherrschung verlor.

An der Theke erfuhr ich, dass mein Bekannter vom Bett aus regelmäßig an einem Online-Lektürezirkel teilnahm. Foucaults „Überwachen und Strafen“ hatte man in zwölf Sitzungen abgehandelt, als Nächstes stand Freuds „Unbehagen in der Kultur“ auf dem Programm. Der Teilnehmerkreis war exklusiv und setzte sich zusammen aus ehemaligen Kommilitonen und einigen losen Kneipenbekanntschaften meines Bekannten. Wer wollte, konnte dem Forum als stummer Gast beiwohnen. Und viele wollten. Die Besucherzahlen der Seite, über die die unzensierten Forumsbeiträge in Echtzeit liefen, waren erstaunlich. Wegen Foucault?, fragte ich tags darauf meinen Bekannten. Wegen der Waldbrände in den Urlaubsgebieten, sagte er. SASCHA JOSUWEIT

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