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Nahkampf im Wattenmeer

GÄNSEJAGD An der ostfriesischen Küste stehen sich Jäger und Naturschützer unversöhnlich gegenüber

Normalerweise sitzt der Waidmann im gestrichenen Loden mit wärmendem Kohlenetui auf dem Hochsitz auf seine Strecke an. Anders an Ostfrieslands Küste. Da buddelt sich Hinz und Kunz in den Schlick, versteckt sich hinter den Deichen oder lässt sich vom Frühnebel verschleiern, um getarnt in militärischem Camouflage das Schießen auf Wildgänse zu üben. Welche Gans er trifft, ist oft nicht klar. Er übt ja noch. „Wir bilden hier Jungjäger aus“, sagt ein Jagdpächter.

In grauer Vorzeit wurde Bauern an der Küste erlaubt, sich in schlechten Zeiten einen fetten Braten in den Kochtopf zu schießen. Auf diese Tradition berufen sich heutige Jagdpächter immer noch, auch wenn sie in spritfressenden Landrovern zur Jagd fahren. Filmemacher Hans Erich Viet enttarnt die Tradition als Legende: „Die Bauern im Binnenland waren wirklich sehr arm, vor allen Dingen die in den Moorgebieten. Aber die Bauern auf den fetten Marschböden an der Küste, die waren reiche Herren“, erklärt er. Viet hat vor Jahren einen Dokumentarfilm über ostfriesische Landarbeiter gedreht: „Wenn die Kinder der Bauern auf dem Weg zur Schule an den Feldern vorbeikamen, dann haben noch in den 1960er-Jahren die ArbeiterInnen ehrfürchtig ihre Mützen gezogen“, so Viet.

Obwohl heute das Land Niedersachsen größter Landbesitzer im seeseitigen Bereich der Küste ist, halten binnendeichs die alten Großbauern großen Flächen. Die Bauern bilden Jagdgenossenschaften, ihre Flächen werden größtenteils gemeinschaftlich verwaltet. Das Land wiederum hat seine eigenen Flächen als Jagden an eben diese Genossenschaften verpachtet.

Und natürlich blasen die ostfriesischen Jagdpächter nicht nur Hinz und Kunz und Jungjäger zur Schießerei. Gelegentlich sind auch „richtige“ Jäger zur Partie geladen. Das sind Jäger, die selbst über Jagdpachten irgendwo in Deutschland verfügen. Ein einfaches Tauschgeschäft: Schießt du meine Gans, schieße ich deine Wildsau. So bleiben die „richtigen“ Jäger dann wieder unter sich.

Dabei verbinden sich die Belange der Landwirtschaft mit denen der Jagd aufs Allerfeinste. Landwirten, die Fressschäden von Wildgänsen belegen können, zahlt das Land eine Entschädigung. Dafür brauchten die Landwirte bislang nichts zu tun. Jetzt sollen sie für ihr Geld Landschaftspflege betreiben. Das ärgert die Bauern. Gegen „das Gänsedrama“, so der Bauernjargon, möchten sie eine zweite Option wahrnehmen – die Jagd.

Jäger Johann Gerdes, früherer CDU-Kreistagsabgeordneter aus Leer, klagt in einer Bauernzeitung: „Die Gänse werden immer mehr.“ Naturschützer bezweifeln das. Doch die Bauern verlangen mehr Entschädigung und mehr Bejagung. Laut Landesjagdbericht sind in Niedersachsen diese Saison etwa 1.600 Graugänse geschossen worden.

„Die Jagd bringt für die Bestandsregulierung gar nichts. Im Gegenteil. Die Tiere werden von ihren Rastplätzen aufgescheucht und verteilen sich auf andere Weiden“, sagt Gänseforscher Helmut Krukenberg. Trotzdem preist die Zeitschrift Wild und Hund dem gemeinen Jäger die Gänsejagd wie ein Computerspiel an. Ein Video zeigt die Jagd auf Gänse mit „packenden Schussszenen“, „herrlichen Sonnenaufgängen“ und anderen „prickelnden Sequenzen“.

Für den Spaß, Gänse zu jagen, wenden Jäger brachiale Mittel an. Einige Vorkommnisse aus der letzten Jagdsaison gefällig? Bauer und Jäger Tacke H. wird verdächtigt, illegal Gänse bei Emden geschossen zu haben. Außerdem hatte er keinen Jagdhund zum Aufspüren wundgeschossener Vögel dabei. Das ist illegal. Ein Naturschützer will ihn zur Rede stellen. H. soll ihn mit seinem Auto auf den Kühler genommen haben. Die Sache liegt bei Gericht.

Bauer und Jäger S. stellt in der Dollartmündung während der Zeit der Vogelgrippe Lockenten aus, um auf Enten zu jagen. Diese Art zu jagen ist in Naturschutzgebieten untersagt. Auf eine Anzeige hin beschlagnahmt die Polizei die Lockvögel und bringt sie in ein Tierheim. Am nächsten Tag holt sich S. seine Tiere aus dem Heim zurück und deponiert sie wieder am Dollart.

Woher man das weiß? Keine Jagd an der Küste bleibt der Gänsewacht verborgen. Das sind Naturschützer, die bundesweit die Jagd auf Wildgänse beobachten. Eilert Voss gehört in Ostfriesland dazu. Seit Jahren dokumentiert der Fotograf Jagdfrevel in Emden und Umgebung. Neben einem blauen Auge, einem zerkratzen Wagen, einigen Drohungen und einer gerichtlich verhängten Geldstrafe wegen „Jagdstörung“ wurde er mit einem Umweltpreis ausgezeichnet. „Im Binnenland können wir die Gänsejagd wohl nur schwer wegbekommen, aber an der Küste, in den Natur- und Vogelschutzgebieten, da darf doch nun wirklich nicht gejagt werden“, der engagierte Rentner ist außer sich.

Nach einer Jagdzeitänderung der rot-grünen Landesregierung wird sogar noch rigoroser gejagt. Statt wie bislang ab 1. November können die Jäger schon ab August in die Natur- und Vogelschutzgebiete an der Nordsee. „Das ist Wahnsinn“, schimpft Voss.  THOMAS SCHUMACHER

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