DIE MILCHPREISE SIND VIEL ZU NIEDRIG. KAMPF DEN MOLKEREIKONZERNEN!: Schwarze-Peter-Spiele
VON HELMUT HÖGE
Bereits am vergangenen Mittwoch war eine Gruppe von Bauern, Aktivisten des Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM), nach Berlin gekommen – für eine „symbolische Aktion“ zum Auftakt der Grünen Woche.
Protest mit Milchpulver
Sie schütteten einen Milchpulverberg vor die Tür des Milchindustrieverbandes (MIV). Ihre Aktion wurde von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) unterstützt, die zum „Bündnis ‚Meine Landwirtschaft‘“ zählt, das heute erneut eine „Großdemo“ gegen „Tierfabriken, Gentechnik und TIPP“ veranstaltet (ausgehend vom Potsdamer Platz um 12 Uhr).
Der BDM kämpft vor allem gegen die Molkereikonzerne, die den Bauern zu wenig für ihre Milch zahlen – „weniger als 30 Cent pro Liter“. Zudem fürchtet ihr Gründer, der Allgäuer Milchbauer Romuald Schaber, dem es 2008 – während der „Milchkrise“ (taz) – gelang, einen „Milchstreik“ gegen die Molkerei- und Supermarktkonzerne zu organisieren, der von Tausenden seiner Kollegen unterstützt wurde, dass von der „Liberalisierung“ – dem Wegfall der Milchquoten ab März – nur wieder die Molkereien profitieren werden.
Sein BDM setzt nicht mehr bloß auf Einfluss und Aufklärung etwa bei EU-Politikern. Der Gründer des AbL, der friesische Bauer und Agrarprofessor Onno Poppinga, hatte ihn deswegen in der taz kritisiert: „Immer nur Quoten fordern? Langweilig.“
Romuald Schaber schreibt in seinem Buch „Blutmilch“: „Die Brüsseler Spitzenbeamten sagen zu Recht: ‚Macht uns nicht verantwortlich für die Ausrichtung der Politik. Es sind eure nationalen Regierungen, die uns vorgeben, wie wir zu handeln haben. Wir als EU-Beamte haben sie umzusetzen.‘ Umgekehrt sagen aber auch die nationalen Politiker: ‚Da können wir nichts machen, das wurde in Brüssel so entschieden.‘ “ Schaber nennt das ein „Schwarzer-Peter-Spiel“.
Um daneben auch noch ernsthafte Politik – von unten – zu betreiben, hat der BDM vor einiger Zeit eine eigene Milchvertriebskette aufgebaut: „Faire Milch“. Diese Idee hatten vor ihm auch schon andere Milchbauern – wenn auch oft nur in kleinen Gruppen oder als Individuen – indem sie zum Beispiel Bioläden, kleine Firmen und sogar einzelne Haushalte direkt beliefern und zudem ihren Hofverkauf ausbauen. In etwas größerem Stil haben sich auch einige umgewandelte LPGs so ein Vertriebsnetz aufgebaut: etwa die sich heute „Ökodorf Brodowin GmbH & Co. Vertriebs KG“ nennende, die inzwischen für ihre Milch in Flaschen auf Plakatwänden in Berlin wirbt.
Eigene Molkerei gebaut
Oder die umgewandelte LPG „Völkerfreundschaft“ in Schmachtenhagen bei Oranienburg: Weil ihr die Berliner Molkerei in Neukölln nach der Wende nur einen unanständigen Literpreis anbot, vermarktet sie seit 20 Jahren ihre etwa 4.000 Liter Milch täglich selbst – mit einer eigenen Molkerei, die 1,5 Millionen Mark kostete. Mit den Milchprodukten werden sämtliche Kitas Marzahns sowie auch einige Krankenhäuser und Schulen in anderen Bezirken direkt beliefert. Für die Schulen ließ ihr Geschäftsführer Siegfried Mattner sogar extra 40 Milchautomaten entwickeln. Außerdem richtete er in einigen Berliner Bezirken komplette „Wochenmärkte“ aus und auf dem LPG-Gelände selbst einen „Bauernmarkt“, der an den Wochenenden von rund 5.000 Berlinern besucht wird. Inzwischen gibt es sogar eine eigene Bahnstrecke von Oranienburg auf den Hof.
Als der BDM gerade seine Marktidee „Faire Milch“ umgesetzt hatte und in mehreren Bundesländern um Mitmacher warb, titelte das Fachmagazin der Agrarindustrie, top agrar: „NRW: Faire Milch ist endgültig gescheitert.“ Schaber: „Die Wirtschaft verfolgt knallhart ihre Interessen.“
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen