: Nicht defizitär, sondern autark
ALLEINERZIEHENDE Frauen, die ihre Kinder ohne Mann großziehen, wollen kein Mitleid. Was sie wollen, ist gesellschaftliche Anerkennung, sagt die Autorin Christina Bylow
Auch Meret Becker ist eine – eine Alleinerziehende. Ihre Tochter ist zwölf und einer Frauenzeitschrift hat die Schauspielerin mal gesagt: „Als Alleinerziehende muss man alle Rollen einer Familie spielen. Und dann kommen Außenstehende und hacken auf einem rum.“
Das erleben viele Mütter und auch ein paar Väter, die ihre Kinder ohne Partner beziehungsweise ohne Partnerin großziehen. Das Bild Alleinerziehender, das in zahlreichen Köpfen so fest sitzt wie der Papst im Vatikan, ist das der prekären, bedauerlichen, unvollständigen Familie: Einsamkeit, Hartz IV, Bildungsferne, Depression. Oder genau das Gegenteil davon: das der Übermutter, die ihrem Exmann die Kinder nicht gönnt und ihn finanziell ausblutet.
Wer Alleinerziehende kennt oder selbst mal alleinerziehend war, hat eine Ahnung davon, dass das so nicht stimmt. Wer weiß schon, dass knapp 60 Prozent aller alleinerziehenden Frauen das Geld für sich und ihre Kinder selbst verdienen, dass sie weitaus häufiger Vollzeit arbeiten als Mütter mit einem festen Partner, und dass sie in der Regel gut ausgebildet und älter sind als 35. Christina Bylow weiß das. Die Berliner Journalistin hat darüber ein Buch geschrieben: „Familienstand: Alleinerziehend. Plädoyer für eine starke Lebensform“.
Ihre Schrift ist eine ausführliche Zahlen- und Faktensammlung, angereichert mit Porträts und Protokollen Betroffener. Vieles von dem, was die Mütter – 90 Prozent aller Ein-Eltern-Familien bestehen aus Frauen und ihren Kindern – erzählen, ist bekannt: Hektik im Alltag, Geldmangel, Abwesenheit vieler Väter. Und auch die Gluckenhaftigkeit mancher Mütter kommt zur Sprache. Aber Christina Bylow räumt gründlich auf mit all den Vorurteilen und der klassischen Opfer- oder Täterrolle. Sie beschreibt Alleinerziehende als aktive, eigenständige und verantwortliche Eltern.
Alleinerziehende machen nicht viel Wind um ihr Leben – dafür haben sie gar keine Zeit und keine Kraft. Sie wollen kein Lob für ihre täglichen Leistungen, aber auch kein Mitleid. „Mitleid setzt herab und verletzt“, schreibt Bylow: „Es ist eine Variante der Arroganz.“ Was sich die „Betroffenen“ wünschen, ist eine gesellschaftliche Anerkennung ihres (oft temporären) Lebensentwurfs. Stichworte zu den Dingen, die den Alltag vieler Alleinerziehender erst prekär machen, lauten: besonderer Schutz der Ehe, Ehegattensplitting, familienunfreundlicher Arbeitsmarkt, fehlende Kita-Plätze.
Alleinerziehende sind trotz Erwerbsarbeit ärmer als andere „Gruppen“. Rund die Hälfte der Allein-Mütter mit kleinen Kindern verdient monatlich weniger als 1.100 Euro netto. Zum Vergleich: Die Pfändungsgrenze für das Existenzminimum liegt bei 990 Euro. Der Soziologe Heinz Bude bezeichnet das als „Feminisierung der Armut“. Und ungeachtet der Tatsache, dass es immer mehr sogenannte aktive Väter gibt, machen sich immer noch viele von ihnen aus dem Staub, wenn die Beziehung zur Mutter zerbricht. Dann zahlen nicht wenige zu wenig, unregelmäßig oder gar keinen Unterhalt. Eine Zeit lang springt dann der Staat ein und hilft mit dem sogenannten Unterhaltskostenvorschuss – 2010 war das rund eine Milliarde Euro. Und das, obwohl zwei Drittel der getrennt lebenden Eltern über das gemeinsame Sorgerecht verfügen.
Und um noch mit einem weiteren Vorurteil aufzuräumen: Alleinerziehende Frauen sind nicht ohne Partner, weil sie das so toll finden, sondern weil es nicht anders geht. Und sie bleiben eine Zeit lang ohne Mann, weil auch das nicht anders geht. Die Kinder rangieren immer vor neuen Partnern, aber nicht alle Erwachsene verstehen das.
SIMONE SCHMOLLACK
■ Christina Bylow: „Familienstand: Alleinerziehend. Plädoyer für eine starke Lebensform“. Gütersloher Verlagshaus, München 2011, 176 S., 14,99 Euro
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