: Jetzt geht es dem Sparschwein an den Kragen
DILEMMA Kritiker befürchten, dass der Plan der Europäischen Zentralbank, Staatsanleihen zu kaufen, Reiche reicher macht und vor allem Kleinsparer belastet. Wenn die EZB aber nichts tut, droht der Verlust von Arbeitsplätzen. Das träfe die Armen noch härter
VON ULRIKE HERRMANN
BERLIN taz | Für Aktionäre, Hausbesitzer und Exporteure wäre es eine gute Nachricht – während Kleinsparer, Besitzer einer Lebensversicherung und Ferntouristen weiter leiden würden. Jetzt am Donnerstag dürfte die Europäische Zentralbank beschließen, Staatsanleihen aufzukaufen, um die Zinsen und den Eurokurs zu drücken.
Warum die EZB eingreift
In der Eurozone ist die Inflationsrate viel zu niedrig. Im Dezember lag sie in Deutschland bei nur noch 0,2 Prozent, im gesamten Euroraum war sie sogar negativ und betrug minus 0,2 Prozent.
Konsumenten freuen sich zwar, wenn Waren billiger werden, aber für die Gesamtwirtschaft ist ein Preisverfall sehr gefährlich. Die Umsätze der Firmen sinken, es wird weniger investiert, das Wachstum stockt, und die Arbeitslosenquote steigt. Es droht ein Szenario wie in Japan, das seit über 20 Jahren gegen eine Deflation ankämpft.
Wie die EZB vorgeht
Die EZB hat nicht mehr viele Optionen, ihr Arsenal ist bereits weitgehend ausgeschöpft. Der Leitzins liegt bei nur noch 0,05 Prozent, den die Banken zahlen müssen, wenn sie sich Geld bei der EZB leihen.
Deswegen greift EZB-Chef Mario Draghi nun zu unkonventionellen Maßnahmen. Seit Monaten kündigt er an, dass die EZB etwa eine Billion Euro in die Wirtschaft pumpen will. Dazu gehört auch der Plan, Staatsanleihen aufzukaufen. Das Geld für diese Anleihenkäufe kommt „aus dem Nichts“, indem es die Zentralbank einfach druckt. Das Verfahren heißt „Quantitative Easing“ (mengenmäßige Lockerung) und wird auch von anderen Notenbanken wie der amerikanischen Fed oder der Bank of England in Krisenzeiten praktiziert.
Was konkret passiert
Die EZB würde Staatsanleihen von Banken, Versicherungen, Pensionsfonds und anderen Anlegern kaufen. Damit drückt sie indirekt die langfristigen Zinsen für Kredite. Denn die Eurostaaten können sich billiger verschulden, wenn ihre Anleihen plötzlich heiß begehrt sind, weil die EZB sie auch erwerben will.
Eine weitere Folge: Wenn Banken und Versicherungen ihre Staatsanleihen an die EZB verkaufen, hätten sie plötzlich Euro, die sie neu anlegen müssten. Eine naheliegende Option wäre, Aktien oder Immobilien zu erwerben – was dann deren Preise in die Höhe treibt. Dieser Effekt ist bereits zu beobachten. Der Deutsche Aktienindex (DAX) stieg in der letzten Woche um rund 400 Punkte, weil Anleger bereits darauf spekulieren, dass die EZB Staatsanleihen aufkauft.
Das Phänomen wird Portfolioeffekt genannt und ist explizit erwünscht. Die EZB hofft, dass sich Investoren und Bürger reicher fühlen, wenn der Preis ihrer Aktien und Häuser steigt, und deshalb mehr Geld ausgeben.
Zudem wird es noch attraktiver, Euro in andere Währungen wie den Dollar zu tauschen. Denn die Zinsen in den USA liegen inzwischen deutlich höher. Also fällt der Eurokurs, während der Dollar teurer wird. Auch das ist erwünscht, weil es die europäischen Waren auf den Weltmärkten billiger macht und den Export ankurbelt.
Was die Kritiker sagen
Sehr häufig wird moniert, dass das Quantitative Easing die Reichen reicher macht und den Kleinsparern schadet. Es würde zu einer Umverteilung von unten nach oben kommen. Denn die Preise für Immobilien und Aktien steigen, während die Zinsen für Spareinlagen sinken. Viele Bundesbürger besitzen aber nur Bankkonten. Gerade ärmere Schichten haben kein Eigentum, sondern leben zur Miete. Auch Aktien finden sich vor allem in vermögenden Haushalten.
Diese Kritik ist richtig, aber die EZB hat nur noch die Wahl zwischen zwei Übeln. Wenn sie nichts tut, droht die reale Gefahr, dass die Wirtschaft in eine Deflation gerät und permanent stagniert oder sogar schrumpft. Auch in Deutschland würden Arbeitsplätze verloren gehen – und das träfe die Beschäftigten sehr viel stärker als die niedrigen Zinsen für ihre Sparguthaben.
Muss Deutschland haften?
Die Bundesbank hat noch eine andere Sorge: Sie fürchtet, dass am Ende Deutschland und die anderen reichen Eurostaaten haften müssen, wenn die EZB Staatsanleihen aufkauft. Denn normalerweise würde diese von jedem Land so viele Staatsanleihen kaufen, wie es seinem Anteil an der Wirtschaftsleistung der Eurozone entspricht. Die EZB würde also nicht nur deutsche Staatsanleihen erwerben, sondern auch Papiere aus Krisenstaaten wie Portugal oder Griechenland. Falls diese Länder pleitegehen, wird am Ende der deutsche Steuerzahler haften – so die Warnung der Bundesbank.
Um die Deutschen zu beruhigen, wird Draghi wahrscheinlich einen Kompromiss vorschlagen. Griechische Staatsanleihen werden gar nicht gekauft – auch weil man nicht die Wahlen dort am 25. Januar beeinflussen will. Für alle anderen Euroländer dürfte gelten, dass statt der EZB selbst die Notenbanken vor Ort die Staatsanleihen erwerben. Die Bundesbank würde also die deutschen Staatsanleihen kaufen, die portugiesische Notenbank würde portugiesische erwerben. Falls dann ein Land pleitegeht, soll nur die heimische Notenbank betroffen sein.
Dieser Kompromiss klingt gut, weshalb die Bundesbank zustimmen dürfte. Aber faktisch ändert sich nichts. Wenn einzelne Staaten pleitegehen und die Eurozone auseinanderbricht, werden die Staatsanleihen doch wieder bei der EZB landen – aus dem simplen Grund, dass all diese Papiere auf Euro lauten und nicht auf Escudo oder Peseta.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen