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Knochen in der Stadt

Grabungsfeld Petriplatz

Breite Straße, Ecke Gertraudenstraße. Hinter einem mannshohen Zaun steht eine Archäologin mitten im Grabungsfeld und hält eine Tafel mit filigranen Zeichnungen hoch. „Wenn wir von der Petrikirche sprechen, sprechen wir von drei verschiedenen Kirchen, deren hier verzeichnete Umrisse wir durch Grabung zu verifizieren hoffen. Hier vor uns sehen wir den Teil einer Apsis des Strack’schen Baues von 1850.“

Die Archäologin, die ihr Haar mit einem roten Kinderkopftuch vor Staub schützt, lächelt. „Hier drüben haben wir die Waage des Cöllnischen Rathauses freigelegt, da können Sie einen Blick hineinwerfen. Aber passen Sie auf, dass Sie nicht auf die Knochen treten.“ Es fällt schwer, ihnen auszuweichen. Überall liegen sie, an manchen Stellen haben sie sich mit Erdreich vermengt und zu einem stabilen Gerüst verdichtet. An anderen Stellen spießen sie sich wie Igelstacheln aus dem Erdreich: Ellen, Speichen, Rippen. Bis vor ein paar Wochen war hier ein Parkplatz. „Wir können noch nicht mit Sicherheit sagen, ob es Reste eines mittelalterlichen Beinhauses sind. Es kann auch ein Massengrab gewesen sein.“

Die beiden sorgfältig freigelegten Kinderskelette, die am Rand der Grabungsfläche und nicht mal einen Meter neben den fahrenden Autos liegen, haben ihre kleinen Köpfe einander zugewandt. Es scheint, als lägen sie in inniger Umarmung, wie Geschwister, die nachts zueinander unter die Bettdecke schlüpfen, um sich Gespenstergeschichten zu erzählen. Ihre kleinen Wirbelsäulen sind verkrümmt und ihre Schädel durch Gewalteinwirkung halb zerschmettert. Sie blecken die fast vollständig erhaltenen Zähne, als lachten sie über einen besonders guten Witz. Einen Meter weiter fließt der Nachmittagsverkehr. Hupen, Sirenen, Bremsen. ANNETT GRÖSCHNER

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