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LOBBYGEFLÜSTER IIDer Begräbnis-Hit

Ich saß in der Hotellobby an einem Tisch mit Gunnilla

Normalerweise sitze ich nicht in Hotellobbys. Umso angenehmer, wenn ich inmitten von Menschen in einer Hotellobby sitze, die normalerweise auch nicht in Hotellobbys sitzen. So geschah es am Freitag, ich fand mich in der „Le Faubourg Lounge“ des Hotel Concorde in Ku’damm-Nähe wieder, wo Oliver Gottwald, Gitarrist und Sänger der Band Anajo, sich mit der Conférencière Wiebke Colmorgen unterhielt und einige Songs spielte. Verändertes Musikverhalten im Download-Zeitalter führt zwangsläufig zu Ortswechseln und neuen Geldgebern, um Musik möglich werden zu lassen, dachte ich. Und tatsächlich, junge Fans waren gekommen, Hotelgäste, aber auch einige zufällig Anwesende, die sich, wie es schien, in das Concorde verirrt hatten. Der Eintritt war frei, selbst der Star des Abends, Oliver Gottwald, bekannte freimütig, er sei noch nie in so einem Hotel abgestiegen. Er habe, sagte Gottwald, sich großartig gefühlt, als er mit seinem alten Auto in die Tiefgarage des Hotels hinabrollte. Im Restaurant wurde ihm zu Ehren „der Plattenteller des Abends“ serviert, sein Lieblingsessen, Rinderroulade mit Quetschkartoffeln und Rotkraut.

Keine Ahnung, ob es reißenden Absatz fand. Ich saß an einem Tisch mit Gunnilla, die für die Musikindustrie tätig ist. Bald fiel unser Gespräch auf den Zustand deutschsprachiger Musik. Ein eher unterdurchschnittlicher Jahrgang. Gunnilla stimmte mir zu. Neulich sei sie auf einer Tagung von A & R-Managern gewesen. Und der Manager der schrecklichen Band Unheilig kam ins Jubeln über die anhaltende Popularität seiner Schützlinge. Eines ihrer Lieder sei inzwischen der Song, der am meisten auf deutschen Beerdigungen gespielt wird. Wow!, sagte ich. Wenig später sang Gottwald zusammen mit der Conférencière auf Plattdeutsch. Er klang seltsam und kurzweilig, so seltsam und so kurzweilig wie der ganze Abend. JEROME SEIDENHEMD

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