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Alle Ziele kleingedrückt

Kaputte Menschen am Kottbusser Tor. David Jazays Spielfilm „Fliegende Ratten“ schaut zwei Junkies zu, ohne das Leben unter Drogeneinfluss mit Glamour aufzuladen

„Fliegende Ratten“ nennt man die Tauben in Großstädten wie Berlin. Sie humpeln verkrüppelt auf den Böden neben den Dönerbuden herum, um die Reste von Pidebrot aufzupicken, sie bauen ihre Nester in schmutzigen und lauten U-Bahnhöfen und markieren unaufhörlich ihr Revier in stinkendem Weiß. David Jazays Film handelt von zwei Menschen, deren Radius den der Vögel kaum überschreitet und deren Sucht selbstzerstörerische Züge annimmt: Chris und Elena sind das typische moderne Drogenpärchen. Sie leben von Schuss zu Pfeife in den Tag hinein, schwitzen in den immer gleichen Klamotten auf einer Matratze in ihrer abgeranzten Kreuzberger Bude und kippen zwischendurch Entzugserscheinungen und sämtlichen anderen Frust hinunter.

Wie mit versteckter Kamera fängt Jazay seine ProtagonistInnen in den schlimmsten Momenten direkt ein, verfolgt die betrunkene Elena minutenlang beim Versuch, nachts am wuseligen Schlesischen Tor eine Bierdose aus dem Kühlschrank eines Imbisses zu nehmen. Später wird Chris, dessen Pupillen während des ganzen Films nie über Stecknadelgröße hinausgehen, zugedröhnt durch den Görlitzer Park marodieren und zwischen den picknickenden Großfamilien und den bierseligen Sonnenfans vor sich hin brüllen.

Dass er „schon immer fasziniert von Filmen war, die in öffentlichen Räumen gedreht wurden“, sagt der Regisseur David Jazay, der in München geboren wurde, in Kreuzberg lebt und nun seinen ersten Langfilm dort spielen lässt. „Ich wollte meinen spezifischen Kiez mit seinen realen Wegen und öffentlichen Orten als Ausgangsbasis der Story nehmen.“

Und so taumeln Chris und Elena zwischen Wrangelkiez und Reichenberger Straße hin und her. Sie haben ihre Ziele notdürftig kleingeraucht und -gedrückt. Die Aussicht auf einen größeren Coup, für dessen Ausführung von Chis verlangt wird, eine Waffe zu beschaffen, lässt sie Hoffnung schöpfen. Doch Jazay ist nicht versöhnlich, sondern realistisch, er macht aus Losern keine Helden, sondern möchte Authentizität: Verzweifelt versucht sich Chris als Kleinkrimineller, scheitert jedoch an der richtigen Haltung und versagt beim Knarrekauf. Beim Besuch von Chris’ Vater, dem schnapsgesichtigen Hausmeister des maroden Treptower Kulturparks, gibt Jazay ungezwungen und in der Wirkung bedrückend ein paar der Beweg- und Hintergründe seiner ProtagonistInnen preis. Leider wirkt der Konflikt zwischen erfolglosem Vater und mit noch größerer Erfolglosigkeit dagegen rebellierenden Sohn manchmal ein wenig zu vorschriftsmäßig schauspielschulenhaft.

Wie reduziert ein Leben sein kann, zeigt dieser Film, ohne sich je in coolen Darstellungen von Konsum und Szene zu gefallen. Die Drogenrealität bleibt fast farblos – schließlich geht es um die asoziale Droge Heroin, nicht um die Partykicks der Ecstasy- oder Koksfans. „Nicht Drogensucht fasziniert mich, sondern Menschen, die vielleicht ein gesteigertes Empfindungsbewusstsein haben“, sagt der Regisseur. „Wir alle suchen Bedeutung, wir alle suchen Liebe, und manchen von uns zerbricht es auf dem Weg.“ Vor allem in Ausstattung und Kostüm scheint er seine Hauptdarsteller quasi von echten Vorbildern abgepaust zu haben – jedeR KreuzbergerIn kennt die abgerissenen, irgendwie 80er-Jahre-mäßig angezogenen Gestalten jeden Alters, die am Kotti stehen und die Lautstärke ihrer Stimmen nicht unter Kontrolle haben.

Statt jedoch voyeuristisch ein kaputtes Leben abzubilden, erzählt Jazay die typische Kinogeschichte von Liebe, Hoffnung und Enttäuschung. Weder hält er sich am Mythos der mutigen Kreuzberger Hausbesetzer auf, noch interessiert ihn die am Schlesischen Tor stattfindende Aufhübschung durch Münchner, MTV und Mitte-BewohnerInnen. Das liegt vielleicht auch ein wenig an der Drehzeit: „Kreuzberg hat sich seit unseren Dreharbeiten im August 2004 sehr verändert zu einer der Ausgehmeilen Berlins. Würde ich „Fliegende Ratten“ heute noch mal drehen, wäre es sicher ein ganz anderer Film“, sagt Jazay: „Dieser Aspekt – in dem Film wie in einer Zeitkapsel ein Lebensgefühl einer spezifischen Zeit einzufangen –, war von Anfang an auch Teil des Plans.“

Das beeindruckende Ergebnis, das übrigens bislang keinen Verleih gefunden hat, läuft im ganzen Oktober jeden Dienstag im Z-inema-Kino in Mitte, obwohl es selbstverständlich besser nach Kreuzberg gepasst hätte.

JENNI ZYLKA

„Fliegende Ratten“. Regie: David Jazay. Mit Nadja Stübiger, Adolphe Münstermann u. a. Deutschland 2005/06, 85 Min., ab 9. 10. jeden Dienstag im Oktober im Z-inema, Bergstraße 2, Mitte

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