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Schon wieder!

VON BEN SCHWAN

Der diesjährige Nobelpreis für Chemie geht an einen Deutschen: Dr. rer. nat. Gerhard Ertl vom Berliner Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft (FHI) erhält die mit insgesamt zehn Millionen schwedischen Kronen (1,1 Millionen Euro) dotierte Auszeichnung für seine grundlegenden Arbeiten innerhalb der Oberflächenchemie, der festen Oberflächenstrukturen und der darauf ablaufenden chemischen Reaktionen. Das gab die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften gestern in der schwedischen Hauptstadt Stockholm bekannt.

Nur einen Tag nach der Auszeichnung für den Physiker Peter Grünberg erhielt Gerhard Ertl den entscheidenden Anruf in seinem Institut in Zehlendorf. „Gestern ging der Physik-Nobelpreis an einen Deutschen. Daher dachte ich, der Preis für Chemie würde nicht an mich gehen“, sagte Gerhard Ertl. Die Erkenntnisse des emeritierten Professors für physikalische Chemie haben ganz praktische Auswirkungen für unser Leben: Sie erklären chemische Vorgänge, die zuvor nicht genau auf molekularer Ebene verstanden wurden. Vom Rosten des Eisens über die Wirkung von Abgas- Kats im Auto bis hin zum korrekten Funktionieren moderner Brennstoffzellen – all dies ist Oberflächenchemie. Dabei handelt es sich eigentlich um einen wissenschaftlichen Zwitter: Neben der Chemie spielt auch die Festkörperphysik in das Gebiet hinein. Neben den chemischen Vorgängen werden immer auch die strukturellen Abläufe beobachtet, die sich an den festen und gasförmigen Grenzen zwischen Stoffen ereignen. Geforscht wird bis in den Nanobereich hinein.

Oberflächenchemische Katalysatoren seien in vielen industriellen Verfahren ausschlaggebend, so die Königlich Schwedische Akademie in ihrer Würdigung, zum Beispiel bei der Herstellung von Kunstdüngern: „Mit der Oberflächenchemie lässt sich sogar der Abbau der Ozonschicht erklären, da entscheidende Schritte in der Reaktion ausgerechnet auf der Oberfläche kleiner Eiskristalle in der Stratosphäre erfolgen.“ Auch die Halbleiterindustrie, so die Akademie, stelle einen Bereich dar, der von der Wissenschaft der Oberflächenchemie abhängig sei. Gerhard Ertls Arbeit habe Schule gemacht, da er aufgezeigt habe, wie man zuverlässige Ergebnisse auf diesem schwierigen Forschungsgebiet erzielen könne.

Die Akademie würdigte zudem die genauen Verfahren Ertls, mit denen er schrittweise eine Methodik für die Oberflächenchemie entwickelt habe. Seine experimentellen Techniken hätten es erstmals erlaubt, ein vollständiges Bild der Oberflächenreaktion zu erhalten. Dies ist ein hochkomplexer Vorgang: Nur in einem Hochvakuum lässt sich beobachten, wie sich die Schichten von Atomen und Molekülen auf reinen Oberflächen wie Metallen verhalten. Ertl entwickelte dazu Verfahren zur exakten Abstufung, welche Stoffe in ein solches Experimentalsystem hineingelassen werden – jede Verunreinigung würde sonst die genaue Messung zunichte machen.

Ertl erhält den Nobelpreis für Chemie auch deshalb, weil er mit seiner Arbeit die Grundlagen der modernen Oberflächenchemie gelegt hat: „Seine Methodik findet Anwendung sowohl in der akademischen Forschung wie auch in der Entwicklung von Verfahren in der chemischen Industrie“, so die Akademie. Gerhard Ertls Arbeit habe Schule gemacht, da er aufzeigt habe, wie man zuverlässige Ergebnisse auf diesem schwierigen Forschungsgebiet erzielen kann.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) konnte dem gestern nur beipflichten. In seinem Glückwunschschreiben an Ertl schrieb DFG-Präsident Matthias Kleiner, der Berliner Chemiker habe grundlegende Arbeiten zum Verständnis der elementaren Prozesse der Katalyse geliefert. Das sei eine „wahrhaft verdiente Auszeichnung“.

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