: Gut, dass sie da ist
Geboren wurde Doris Lessing 1919 als Doris May Taylor im persischen Kermanshah. Sie war die Tochter eines britischen Offiziers, der mit seiner Familie 1925 in die britische Kolonie Südrhodesien zog, dem heutigen Simbabwe. Mit 14 Jahren brach sie ihre Schullaufbahn ab und arbeitete in Salisbury, dem heutigen Harare, als Kindermädchen. 1945 heiratete sie in zweiter Ehe den deutschen Kommunisten Gottfried Lessing und wurde so Schwägerin von Irene Gysi, deren Mann Klaus später Minister für Kultur in der DDR war. Ihr Sohn Gregor, Fraktionschef der Linken im Bundestag, darf sich also freuen, dass es seine Tante ist, der der Literaturnobelpreis zugesprochen wurde.
Seit 1949 lebt Doris Lessing in England. Wegen ihres entschiedenen Eintretens gegen Rassentrennung wurde ihr jahrzehntelang die Einreise nach Rhodesien und Südafrika verweigert. Nachdem Südrhodesien 1980 unabhängig wurde, reiste Lessing mehrere Male an den Ort ihrer Kindheit. In ihrem 1992 erschienenen Reportageband „Rückkehr nach Afrika“ schildert sie die Eindrücke dieser Reisen. Am 22. Oktober wird Doris Lessing 88 Jahre alt.
In Deutschland feierte sie ihren größten Erfolg mit ihrem Werk „Das goldene Notizbuch“. Der Roman war bereits Ende der 60er-Jahre im englischen Original erschienen. Erst 1978 wurde eine Übersetzung für den deutschen Markt angefertigt, die zu einem Referenzwerk für die Frauenbewegung in Deutschland wurde. 1994 erschien mit „Unter der Haut“ der erste Teil ihrer Autobiografie, die ihre afrikanischen Jahre bis zur Übersiedlung nach England 1949 behandelt. Der zweite Teil („Schritte im Schatten: Autobiographie 1949–1962“) folgte 1997.
Seit etwa 15 Jahren gibt der Hamburger Verlag Hoffmann und Campe die Bücher von Doris Lessing heraus, zuletzt den Roman „Die Kluft“. Hoffmann und Campe arbeitet außerdem an einer 15-bändigen Werkausgabe, von der die ersten beiden Bände, „Das goldene Notizbuch“ und „Unter der Haut“, bereits im Buchhandel sind.
Jüngst auf Deutsch erschienen ist der Roman „Die Kluft“ (Hofmann und Campe, Hamburg 2007, 240 Seiten, 19,95 Euro). In der Ankündigung des Verlags heißt es: „Doris Lessing kehrt in ihrem Roman zu den Ursprüngen der Menschheit zurück und beschreibt eine mythische Gesellschaft, die tatsächlich frei von all diesen Dingen ist: eine Gesellschaft ohne Männer.“
Ihren ersten literarischen Erfolg hatte Lessing 1950 mit dem Roman „Afrikanische Tragödie“ gefeiert. Seitdem genießt sie in ihrer englischen Heimat große Popularität. Barbara Christ, Lessings Übersetzerin für Hoffmann und Campe, arbeitet gerade an einer Neuübertragung, die im nächsten Frühjahr erscheinen soll. TAZ
VON RENÉE ZUCKER
Irgendwie ist es eine schöne Nachricht. Eine freundliche, eine gute Entscheidung. Und das nicht nur für viele Frauen, die älter als 45 sind. Sie sei eine „Epikerin weiblicher Erfahrung“, heißt es in der Begründung der Schwedischen Akademie, „die sich mit Skepsis, Leidenschaft und visionärer Kraft eine zersplitterte Zivilisation zur Prüfung vorgenommen hat“. Das alles stimmt. Ob wir es tatsächlich mit einer meisterhaften Schriftstellerin zu tun haben, darf bezweifelt werden.
Aber im Fall Doris Lessings ist das gar nicht wichtig. Wichtig ist, dass sie da war und noch da ist. Und dass sie mit ganzem Herzen und aufmerksamen Bewusstsein lebt.
„Das goldene Notizbuch“ kam für mindestens zwei Frauengenerationen gleich nach „Pippi Langstrumpf“ und „Die rote Zora“. Zusammen mit Simone de Beauvoirs „Mandarins von Paris“ und Marilyn Frenchs „Frauen“ bildete es die heilige Bibeldreifaltigkeit der Frauenbewegung.
Und wenn wir heute das Anfang der Sechzigerjahre geschriebene und auf Deutsch erst 1978 erschienene Buch durchblättern, müssen wir uns tatsächlich wundern, wie tapfer wir dereinst waren. Es ist furchtbar kompliziert, umständlich, manchmal unerträglich kolportagehaft und einigermaßen verwirrend geschrieben, weil es auf fünf Ebenen stattfindet und nicht linear erzählt, aber genau das galt als modern, für manche Kritiker gar als Durchbruch in eine neue Dimension.
„Das goldene Notizbuch“ liest sich wie ein Dokument jener „zersplitterten Zivilisation“, und wie kaum eine andere Schriftstellerin des 20. Jahrhunderts ist Doris Lessing ihre weibliche Verkörperung. Geboren 1919 im persischen Kermansha, erlebt sie eine, wie sie später sagt, wunderbare Kindheit im afrikanischen Rhodesien (heute Simbabwe). Sie lernte schießen und jagen, und schrieb als junges Mädchen zwei Romane, die sie später nicht mehr entziffern konnte – zum Glück für sie und für uns, wie sie selbst einräumt.
Sie heiratete zum ersten Mal und bekam zwei Kinder, „die nach der Scheidung bei dem Vater blieben“, heißt es merkwürdig karg in den Biografien. Aus zweiter Ehe mit dem deutschen Kommunisten Gottfried Lessing ( dessen Schwester Irene die Mutter von Gregor Gysi ist) hat sie einen Sohn, mit dem sie 1949 nach London ging. Sie selbst bezeichnet sich als eine „kritische Kommunistin“ in dieser Zeit, die sich mit Schreiben mehr schlecht als recht über Wasser hielt. Aber gleich mit ihrem ersten Roman „Afrikanische Tragödie“, der 1950 erschien, hatte die Alleinerziehende Erfolg. Dies war ein anderes Afrika als jenes von englischen Reisenden oder Kolonialherren, die ironisch über ihresgleichen und mehr oder wenig abfällig über die Neger schwadronierten.
Man muss sich Doris Lessing als eine kämpferische Idealistin vorstellen, die den Rassismus des kolonialen Afrikas unerträglich fand, aber sich vor allem auch sehr intensiv mit dem Zusammenleben von Mann und Frau beschäftigt. Dies tat sie sehr ausführlich in ihren beiden Roman-Serien „Children of Violence“ (Kinder der Gewalt) – die das weibliche Leben im individuellen Kampf zwischen Familie und Selbstverwirklichung inmitten von drei (!) Weltkriegen beschreibt.
Auch wenn sie immer wieder das weibliche Leben thematisierte, widerstrebte ihr doch die Vereinnahmung durch den Feminismus – vielleicht, weil sie selbst zu dem Zeitpunkt, als die bewegten Frauen ihre Bücher lasen, schon wieder ganz woanders war. Schon Mitte der Sechziger hatte sie angefangen, sich mit dem Sufismus, einer mystischen, vorislamischen Religionsphilosophie, zu beschäftigen. Der afghanisch-schottische Autor Idries Shah wurde ihr Lehrer für einen sanften und liberalen Sufismus, lange bevor er hier Mode wurde. Anfang der Achtzigerjahre war sie völlig vereinnahmt von der Angst vor einem Atomkrieg und empfahl in Interviews immer wieder jedem, sich einen atomsicheren Bunker zu bauen. Zu der Zeit erschien ihre Science-Fiction-Serie „Canopus in Argos: Archive“ – nahezu unlesbare und sehr moralisierende fünf Romane, die C. G. Jung und Sufismus miteinander vermengten und gleichzeitig das Einhalten kosmischer Gesetze einklagten, die das ideale Zusammenleben der Geschlechter beschrieben. Dieses Modell war allerdings so kompliziert, dass sich auch die gutwilligste Lessing-Verehrerin nicht daran halten konnte.
In einem Spiegel-Interview von 2003 zeigt sich die heute 87-jährige Kosmopolitin immer noch sehr wach und sehr kämpferisch. Sie berichtet amüsiert davon, wie Henry Kissinger sie Ende der Fünfzigerjahre besucht hatte und eine Realpolitik predigte, die George W. Bush heute praktizierte. Von ihr sei er enttäuscht gewesen, er habe sie für eine naive Gutmenschin gehalten. Seltsamerweise kritisiert die Irakkriegsgegnerin in diesem Interview den damaligen englischen Premierminister Tony Blair ganz ähnlich: Er sei ein Blumenkind aus den sechziger Jahren, einer von denen, die an Mantras glaubten und einem gedankenlosen Optimismus anhingen. „Hirnloser Idealismus“, schimpft sie. Sie hat über fünfzig Bücher geschrieben. Entsprechend der neuen Strategie der Jury bekommt sie den Nobelpreis für ihr Lebenswerk.
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