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Insel der Seligen

ANTIGUA Guides zeigen Fremden Guatemalas Weltkulturerbe

Guatemala

■ Information: Botschaft der Republik Guatemala, Joachim-Karnatz-Allee 47, 10557 Berlin, Tel.: 0 30-2 06 43 63 Fax: 0 30-20 64 36 59, embaguate.alemania@t-online.de

VON UTE MÜLLER

Sie sollten nicht allein zum ‚Cerro de la Cruz‘ gehen, außerhalb der Stadtgrenzen ist es gefährlich, alleine unterwegs zu sein.“ Mario braucht mich nicht lange zu überzeugen, es ist schon später Nachmittag und in diesem Land wird es früh dunkel. In seinem klapprigen Tuc-Tuc, einer Art überdachtem Motorrad, in dem der Fahrgast eine eigene Kabine hat, hoppeln wir über Antiguas Kopfsteinpflaster zum berühmten Aussichtspunkt nördlich der Stadt. Es geht vorbei an den typischen Häusern im spanischen Kolonialstil mit ihren vergitterten Fenstern, barocken Kirchen, Kaffeeplantagen und Feldern. Doch der späte Ausflug lohnt sich. Unten erstreckt sich die verträumte Kolonialstadt mit dem 3.760 Meter hohen Vulkan Agua im Hintergrund.

Zweihundert Jahre lang war Antigua Guatemala die Hauptstadt des Königreichs Guatemala und wirtschaftliches und kulturelles Zentrum des Landes, von hier aus regierten die spanischen Vizekönige über fast ganz Zentralamerika, hier wurde seinerzeit auch die erste Universität der Region errichtet. Damals trug die Stadt den schier endlosen Namen „Muy Noble y Muy Leal Ciudad de Santiago de los Caballeros de Goathemala“, zu Ehren des Schutzpatrons Santiago. Als im Jahr 1773 ein schweres Erdbeben Antigua erschütterte, wurde in 30 Kilometer Entfernung Guatemala Nueva als neue Hauptstadt errichtet. Doch im Grunde schlägt das Herz des Landes in Antigua. Keine Stadt im Lande hat eine solche Dichte an Kirchen, Palästen, Bürgerhäusern, Klöstern wie die vom spanischen Konquistador Pedro de Alvarado gegründete Stadt. Daher zählt sie seit 1979 zum Weltkulturerbe.

Ein Polizist ist auch hier oben postiert, ganztägig, zum Schutz der Touristen. Guatemala ist eines der ärmsten Länder Mittelamerikas, seine größten Probleme sind: Gewalt, Kriminalität, Korruption und vor allem soziale Unterschiede. Bis heute kämpft das Kernland der stolzen Maya mit den Folgen der Militärdiktatur und des Bürgerkrieges, der erst 1996 endete.

Wie eine Insel der Seligen wirkt da Antigua. Die 35.000-Einwohner-Stadt macht einen wohlhabenden Eindruck. Die Häuser sind renoviert und in Pastellfarben angestrichen, Bars, Cafés, Restaurants und Souvenirshops prägen das Bild der Gassen. „Das hier ist nicht das wahre Guatemala, sondern die perfekte Kulisse“, sagt Miguel Roca, dem eine Apotheke unweit des früheren Jesuitenklosters gehört. „Viele Amerikaner und reiche Europäer haben sich hier angesiedelt, sie investieren hier, nicht etwa die Einheimischen.“

Es gibt wohl niemanden, der die Stadt besser kennt als Don Miguel, der als „Criollo“ – ein in Zentralamerika geborener Weißer – automatisch zur schmalen Oberschicht von Antigua gehört. Er verwaltet das Stadtarchiv, zu diesem Job kam er eher zufällig. Vor Jahren fand er wertvolle Unterlagen, die achtlos in den Müll geworfen worden. „Die Gleichgültigkeit der Gemeindeverwaltung, was unsere Geschichte anbelangt, ist schlimmer als die Vulkanausbrüche, die Antigua mehrmals verwüstet haben“, scherzt Don Miguel.

Mit der Ankunft von Missionaren und Priestern wurden in Antigua zahlreiche Klöster und Klosterschulen errichtet. Die Stadt wurde zum geistigen Zentrum der ganzen Region und sie erlangte einen Einfluss, der sich durchaus mit dem von Mexiko-Stadt oder dem von Lima messen konnte.

Einem der Klöster verdankt Antigua auch sein Wahrzeichen, den Bogen von Santa Catalina, das wohl meist fotografierte Motiv der Stadt. Es waren die Nonnen des Klosters, das in seinen besten Zeiten 110 Insassinnen umfasste, die den Bogen anlegen ließen. So konnten sie in die gegenüberliegende Schule Unterricht erteilen, ohne die Straße betreten zu müssen. Keinerlei Kontakt zur Außenwelt durften auch die Kapuzinerinnen haben, deren Kloster der eigenwilligste unter den Sakralbauten Antiguas ist. Sie alle unterstehen der Denkmalschutzbehörde Consejo Nacional para la Protección de la Antigua Guatemala (CNPAG).

„Viele Amerikaner und reiche Europäer haben sich hier angesiedelt“

Miguel Roca, Apotheker

Um mehr Geld für Unterhalt und Instandsetzung zu haben, zahlen Touristen 40 Quetzales Eintritt (3,70 Euro), die Einheimischen nur einen Bruchteil davon. Tuc-Tuc-Fahrer Mario findet das gerecht. Ohnehin können sich wegen des Zuflusses von ausländischem Kapital immer weniger „Chapines“, wie die Guatemalteken sich nennen, es sich leisten, in der Stadt zu wohnen.

Um sich ein Bild zu verschaffen, wie die einstigen Bewohner Antiguas, die Indígenas, heute leben, lohnt ein Ausflug nach San Pedro las Huertas, wo die Wäscherinnen am Dorfplatz wie vor Jahrhunderten waschen, und von dort weiter nach San Antonio Aguas Calientes, einem der bekanntesten Webdörfer von Guatemala, wo man prachtvolle Mayatrachten bewundern kann.

Dort lebt Carolina de Guarán mit ihren Töchtern und Enkelkindern. Sie betreibt einen Laden. Carolina ist berühmt in Guatemala. Als 14-Jährige wurde sie auf die Internationale Tourismusbörse in Berlin eingeladen und warb damals für ihr Land, indem sie Webkünste zeigte. Das war 1964. „Ich habe Bundespräsident Heinrich Lübke kennen gelernt“, sagt Carolina stolz und zeigt eine Reihe vergilbter Zeitungsausschnitte, auf denen ein Mädchen mit langen Zöpfen abgebildet ist.

„Letztes Jahr war kein gutes Jahr für den Tourismus, wir haben fast nichts verkauft“, sagt Carolina, während sie uns mit prachtvollen Blumen- und Tiermotiven bestickte Huipiles, die typischen Frauenblusen, zeigt. Doch alles deutet darauf hin, dass die Touristen, die Guatemala zuletzt wegen der Unsicherheit mieden, bald wiederkommen. Nicht umsonst hat Staatschef Álvaro Colom eine Imagekampagne gestartet und die Sicherheitskräfte an zentralen Punkten des Landes aufgestockt. „Wenn es so weit ist, verkaufe ich neben den Textilien auch Kaffee“, sagt Carolina, und mit Blick auf potenzielle deutsche Kunden fügt sie augenzwinkernd hinzu: „Ökologischen natürlich“.

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