: Ein farbenprächtiges Chaos
GUATEMALA In der Stadt Chichicastenango wollen auch Maya vom Tourismus profitieren
■ Fremdenführerin: Wer den Ort besucht, dem sei Elena oder eine Kollegin empfohlen: sutmejiaelena@yahoo.com
■ Markt: donnerstags und samstags.
VON HANS-ULRICH DILLMANN
Elena wird ganz ehrfürchtig. Gerade noch hat sie sich über die „komische Frisur“ einer Amerikanerin vor Vergnügen gebogen. Drei Jungen stehen auf einem zweistöckigen Grabmausoleum und zupfen an den Schnüren ihrer Drachen. Unruhig tanzen diese im Wind. „Sie versuchen mit den Göttern zu kommunizieren“, sagt die 14-Jährige. „Jeden Tag kommen Jugendliche hier zum Friedhof und lassen die Drachen steigen. Manchmal nehmen sie auch Aufträge von den Verwandten der Toten an, um Kontakt herzustellen.“
Es ist gerade neun Uhr am Morgen in Chichicastenango. Noch liegt ein feiner Morgendunst über der Stadt. Der Friedhof ist von der Stadt durch eine Schlucht getrennt. Ein farbenprächtiges Chaos aus pinkfarbenen, türkisen, hellblauen, sattblauen und gelben Mausoleen.
Was die Jungen mit den Göttern zu kommunizieren haben, wollen sie nicht verraten. Elenas in Quiché gestellte Fragen übergehen sie mit Schweigen. Auch die Schamanin drei Grabreihen weiter ist nicht gesprächiger. Es riecht nach Weihrauch. Über einigen Gräbern steigen kleine Rauchfahnen auf. Sie runzelt die Stirn und beschäftigt sich weiter unter leisem Gemurmel damit, schmale, handgedrehte farbige Kerzen, Getreidebällchen, gekochte Eier, Zigarren und ein weißes Pulver konzentrisch zu gruppieren, mit einer Art Parfüm zu beträufeln und schließlich anzuzünden.
Der Kreis, das ist im Maya-Verständnis die Kontinuität. Rote Kerzen, so erklärt Elena, bedeuten den Osten und das Leben, schwarze symbolisieren die Nacht und den Westen, Weiß ist der Norden, und Gelb steht für den Süden und das Volk. Es ist Xocomil, der Tag des Windes. Die Bewohner der wohl bekanntesten Maya-Stadt in Guatemala kommen zu den Gräbern, um sich mit ihren verstorbenen Verwandten zu unterhalten, ihnen ihre Sorgen und Nöte mitzuteilen und mittels der religiös Kundigen mit ihnen Kontakt aufzunehmen, um Ratschläge zu erhalten. Rund 1.200 bis 1.300 Quetzales kostet eine einfache Zeremonie, die fünf bis sechs Stunden dauert. „Unsere Schamanen werden dafür bezahlt“, erläutert Elena.
Elena ist Fremdenführerin. Sie trägt die traditionelle Tracht: einen langen längs gestreiften Wickelrock in Blau und Lila, dazu einen orange gehaltenen Gürtel und den Huipil aus schwarzem, besticktem Stoff. In den Ferien und an Wochenenden versucht sie Touristen mit freundlichem Lächeln und ihrer Sprachfertigkeit bei deren Ankunft zu animieren, sie für einen Bummel durch die Stadt und über den Markt zu engagieren. 50 bis 60 Quetzales bekommt sie normalerweise dafür, umgerechnet 4,50 bis 5,50 Euro. Für den Teenager viel Geld, mit dem Elena ihren Schulbesuch bezahlt – und das magere Familieneinkommen entlastet. Ihr Vater ist Zimmermann und verkauft an Markttagen geschnitzte Holzmasken an die Touristen, die Mutter bietet gewebte Textilien an.
Tagsüber geht die 14-Jährige in die weiterführende Schule, damit sie „später studieren kann“, abends lernt Elena Sprachen. Englisch spricht sie passabel, französische Touristen hat sie auch schon in deren Muttersprache betreut, und jetzt hat sie sich an das Erlernen der italienischen Sprache gemacht.
Cathy, die offizielle Reisebegleiterin des guatemaltekischen Tourismusministeriums, ist froh, dass es Mädchen wie Elena gibt, die sich qualifiziert um die Betreuung der ausländischen Besucher in der Stadt kümmern, die historisches und architektonisches Wissen besitzen und vor allem Mitglieder der Quiche-Ethnie sind und den Fremden „ihre Geschichte erzählen“ können. „Besser als betteln“, sagt sie beim Gang durch den an diesem Morgen sehr belebten Friedhof.
Elena klammert sich stolz an ihre Förderin. „Ich werde später mal wie Cathy Tourismus studieren“ sagt Elena. „Und dann komme ich nach Chichicastenango zurück.“ Ohne die mageren Einnahmen aus dem Tourismus, dem Verkauf von bunten Webarbeiten oder geschnitzten hölzernen Erinnerungen an Touristen, wüssten viele Familien nicht, wie sie ihr tägliches Brot verdienen sollten. Die Böden in den Hochebenen, in denen die Maya-Ethnien leben, sind steinig und ausgemergelt. Der Tourismus ist eine der wichtigsten Einnahmequellen des Landes mit seinen etwa 13,3 Millionen Einwohnern – 40 Prozent davon Indigene, meist Maya. „Die guatemaltekische Tourismusbehörde Iguat wirbt zwar besonders gern mit den Maya, aber diese haben nur sehr geringe Einkommen durch die Touristen“, kritisiert ein Entwicklungshelfer vor Ort. Von dem Geld, das die Touristen ausgeben, profitieren fast ausschließlich Tour- und Reiseveranstalter, Busunternehmen und Fluglinien, Hotel- und Restaurantbetreiber. „Die farbenprächtigen Trachten machen sich zwar gut auf den bunten Plakaten, aber für Infrastrukturmaßnahmen in den Maya-Dörfern ist dann angeblich kein Geld da“, sagt er. Für Elena bedeutet jedoch jeder eingenommene Quetzal, dass sie weiterhin die Schule besuchen kann.
„Chichicastenango muss man gesehen haben“, versichert die minderjährige Fremdenführerin beim anschließenden Schlendern über Guatemalas berühmtesten Markt. Hierher kommen Maya aus der ganzen Umgebung. Manche schlafen aus Geldmangel auf den Bürgersteigen oder in Türeingängen. Mühsam versuchen eine Polizistin und ihr Kollege ein wenig Ordnung in das Menschenchaos zu bringen. Vergeblich. Frauen in ihren traditionellen Trachten mit dem bunt gewebten Huipil, einen Säugling auf den Rücken gebunden, bieten langstielige Blumen und Bananenblätter an. Andere verkaufen bunte Kerzen und Weihrauch.
Dazwischen hat sich ein Schamane auf den Stufen niedergelassen und verbrennt seine aufwendig drapierten Göttergaben. Es riecht nach Verbranntem und nach Weihrauch. Rauchschwaden ziehen bis in die Kirche, die nur durch den Seiteneingang betretbar ist. Die Hauptkirche des Ortes ist dem heiligen Thomas geweiht, dem Schutzheiligen von Chichicastenango. Nach der Conquista wurde das katholische, 400 Jahre alte Gotteshaus an jenem Ort errichtet, an dem die Maya religiöse Riten abhielten. Die Zugangstreppe zum Kirchengebäude hat 18 Stufen, jede steht für einen Monat des Maya-Kalenders.
Am Ende des Rundgangs führt Elena zielstrebig durch das Gassenlabyrinth zum Zeltstand ihres Vaters, der Dutzende von selbst geschnitzten Masken anbietet. Dann steht sie vor dem Stand ihrer Mutter mit den bunten Textilien. „Schau mal rein“, ruft sie. „Du braucht doch bestimmt noch ein Geschenk für deine Frau.“ Ein türkisfarbenes Hemd wechselt seinen Besitzer.
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