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Wale, Käfer, Helden

Es mangelt nicht an ökologischem Bewusstsein, sondern an der politischen Umsetzung DAS SCHLAGLOCH von MATHIAS GREFFRATH

Ökotourismus: Man fliegt 9.000 Kilometer, um sich Reste anzugucken – ein paar Hektar Regenwald

Das Zodiac-Boot im Clayoquot-Sound dümpelte schon eine halbe Stunde, und Greg blickte ungeduldig auf seine Uhr. Da stiegen sie doch noch auf: ein, zwei, drei Dampffontänen, und gleich darauf die Grauwale, länger als das Boot von Jamie's Whaling Station in Tofino auf Vancouver Island. Ich hatte mich ein wenig geschämt für den Kinderwunsch, aber es war dann doch, ja, irgendwie sehr erhaben.

Ökotourismus: Man fliegt neuntausend Kilometer, um sich Reste anzuschauen – Wale oder die paar Hektar pazifischen Regenwald, die der Holzkonzern McMillan den nachwachsenden Generationen gestiftet hat, inklusive Parkplatz. Mächtige Douglas-Fichten im feuchten Urwald, Stege führen über den Waldboden, und drum herum, für hunderte von Kilometern, nur junger Wald. Ein Baumzoo.

Das Modell hat Zukunft: Die Winter sind nicht mehr kalt genug, um die Larven des Mountain Pine Beetle, wie früher, abzutöten, und die jungen Bäume in den nachgepflanzten Monokulturen sind anfälliger. Eine Fläche so groß wie Bayern und Baden-Württemberg ist befallen; wenn es so weitergeht, werden in sieben Jahren 80 Prozent des Waldes in British Columbia tot sein, sagt die Provinzregierung, und in 20 Jahren könnten die Käfer Ontario erreichen.

Als ich abflog aus Vancouver, hatten zwei Forscher dort einen Aufsatz veröffentlicht, dem zufolge die Schätzungen des Weltklimarates IPCC zu optimistisch sind; als ich in Berlin ankam, hatten IPCC und Al Gore den Nobelpreis gewonnen. Da sah ich mir endlich Gores Film „Eine unbequeme Wahrheit“ an. Er ist immer noch berührend und so amerikanisch wie der neue Film von George Clooney. Einer gegen alle. Das ist nicht schlecht, aber wie hieß es früher: Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.

Der Brecht-Spruch gilt nicht mehr im Zeitalter der Klimakatastrophe – meint jedenfalls ein Leitartikler der Zeit, der sonst vorwiegend Filme und andere Kunstprodukte bespricht. „Weltweit agierende Persönlichkeiten“ wie Bill Gates und Al Gore, „die ihren Ruhm oder ihren Reichtum nutzen“, um „als eine Art Nebenweltregierung … das Bewusstsein zu verändern“, schreibt Georg Diez, seien effektiver als gewählte nationale Regierungen. Sie vertrauten nicht mehr „den etablierten Mechanismen der Politik“, sondern der „basisdemokratischen Macht des Marktes“, auf dem sie weltweite Emotionen erzeugen und ihre Botschaft an „jeden“ richten, weil jeder etwas tun könne. Und damit werde „ein neues politisches Zeitalter eingeläutet“.

Der Zeit-Herausgeber Josef Joffe, für den es immer noch eine offene Frage ist, „ob die Erwärmung … menschengemacht ist oder nicht“, kritisiert derlei als religiöse Erweckungsbewegung, in der „das Gewissen über das Wissen, die Gesinnung über die Wissenschaft“ siege. Erstaunlicherweise verlieren beide kein Wort über den anderen Friedensnobelpreisträger, den Weltklimarat: die Institution, in der eine globale Wissenschaftlergemeinschaft der Politik Dampf gemacht hat, zusammen mit Greenpeace, WWF und tausenden anderer NGOs.

Nein, wir haben in den letzten dreißig Jahren weder an einem Mangel an Bewusstsein gelitten, noch haben wir es jetzt mit einer religiösen Schwellung im rationalen Volkskörper zu tun. Seit Jimmy Carters Global 2000, seit Rio 92 wissen wir das alles im Prinzip. Es gab sogar schon mal, im Jahre l981, eine Kommission des Bundestages, die eine CO2-arme Zukunft ausgerechnet hat: Kraft-Wärme-Kopplung, Hausisolierung, effizientere Motoren, massiver Ausbau von Bahn und öffentlichem Nahverkehr – rund 60 Maßnahmen zusammen. Wir haben keine Bewusstseinskrise, sondern eine der politischen Repräsentation: wissenschaftliche Erkenntnis und Bürgerwille dringen nicht ins Parlament.

Wer – wie kürzlich schon der Spiegel – seine Hoffnungen auf die Millionäre und Milliardäre mit dem richtigen Bewusstsein setzt, der lenkt nicht nur von der Erosion der Demokratie ab. Er hat auch einer Institution Adieu gesagt, zu deren Grundgesetz es einmal gehörte, „aus dem ungeheuren Umfange der Wissenschaften dasjenige herauszuheben, was … die ganze Menschheit interessiert“ und „den Schein von der Wahrheit unterscheiden zu lehren“ (Karl Philipp Moritz, „Ideal einer vollkommenen Zeitung“).

Und wenn wir schon politische Helden neuer Bauart brauchen, dann eher solche, die es sich nicht mehr gefallen lassen, wenn ihnen die Herren Kauder und Scholz, wie jüngst geschehen, ihren Gesetzentwurf zur Geschwindigkeitsbeschränkung mit einem kurzen Anruf verbieten. Nichts gegen den Nobelpreis für Al Gore: er hat im Alleingang getan, was die Aufgabe der amerikanischen Medien gewesen wäre. Der einzige (alternative) Nobelpreisträger im deutschen Parlament, Hermann Scheer, hat mit einer Handvoll Bundesgenossen das Energieeinspeisungsgesetz durchgesetzt, das der deutschen Solar- und Windindustrie den Schub nach vorn gegeben hat. Jetzt ist er Schattenminister im Wahlkampfteam von Andrea Ypsilanti.

Das Regierungsprogramm: Hessen steigt in fünf Jahren aus der Atomenergie aus, ohne neue Kohlekraftwerke zu bauen. Es wäre ein Modell für Deutschland, Europa und darüber hinaus, so radikal, dass die CDU das Gespenst von „Windmonstern“ über jedem Ausflugslokal an die Plakatwände malt. Und die Presse – schweigt weitgehend über eine so grundstürzende Ansage. Findet nicht einmal die human interest story (Helden!) interessant, diesen Bonny-und-Clyde-Kampf gegen die Lobbies.

Warum lädt die Klima-Kanzlerin einen Energiepolitiker, der „den Deutschen“ einen Entwicklungsvorsprung von ein paar Jahren erstritten hat, nicht zu ihren Gesprächen mit den vier Stromriesen ein? Warum hält die SPD-Führung einen „Hero of The Green Century“ (Time) nicht für ministrabel? Warum betreibt kein Presseorgan eine Kampagne für ein hartes Kraft-Wärme-Kopplung-Gesetz, das die Investitionen der Stromer umlenken würde?

Wer auf Milliardäre mit dem richtigen Bewusstsein hofft, lenkt von der Erosion der Demokratie ab

Ich glaube nicht, dass es an der Anzeigenmacht von Eon, Vattenfall und EnBW liegt, die „Verantwortung für das Klima“ proklamieren und in Kohle und Braunkohle investieren. Ich fürchte, es liegt daran, dass wir uns zwar nicht mehr gegen die Massivität der Daten wehren können, aber Zukunftsinvestitionen immer noch als Opfer wahrnehmen.

Schlimmer noch: dass die „Realisten“ schon lange annehmen, dass wir nur noch die Folgen des Temperaturanstiegs eindämmen können: durch Versicherungen, Hilfskredite, Deiche, gentechnisch veränderte Pflanzen. Und am schlimmsten: dass wir „kleinen Sterblichen“, wie Naomi Klein einmal sagte, verinnerlicht haben, dass wir „den Kampf gegen das große Kapital nicht gewinnen können“. Dass wir zu wenig zornig sind.

„If your representatives don't do what you want them to do, run yourself“, ist die letzte Empfehlung, die Al Gore am Ende seines sehr amerikanischen Films gibt. Vielleicht ist das ein stärkerer Grund für Scham als der kleine Ausflug zu den Walen – wenn denn Scham der nach innen gekehrte Zorn ist, der nicht mehr an sich glaubt.

Fotohinweis: Mathias Greffrath lebt als freier Publizist in Berlin.

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