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Entscheidung in der Turnhalle

Wer wählt mich, wo gehöre ich hin? Mit sechs Geschichten, die das Leben in Berlin schrieb, setzt das Hebbel am Ufer seine Erkundung migrantischer Geschichte fort. Allein das Stück „Klassentreffen – Die zweite Generation“ bleibt etwas zu nett

VON CHRISTIANE KÜHL

Im Foyer klingt es, wie es in einem Berliner Foyer klingen sollte, aber selten klingt: Es wird deutsch gesprochen, es wird türkisch gesprochen, und bisweilen wird elegant zweimal im Satz die Sprache gewechselt. Zur Premiere von Hülya Duyars und Lukas Langhoffs Produktion „Klassentreffen – Die zweite Generation“, einem Stück über in Berlin aufgewachsene DeutschtürkInnen, sind außerordentlich viele Vertreter ebenjener zweiten Generation erschienen.

Was sie sehen werden, als Teil der Programmschiene „Beyond Belonging“, ist das Stück ihres Lebens. Selbstredend nicht im Speziellen oder in allen Einzelheiten – aber viele der Erfahrungen, von denen die sechs Personen auf der Bühne in den kommenden 100 Minuten erzählen werden, kommen den eigenen sehr nah.

Da ist Mutlu, der jeden Sommer aufs Neue gefragt wird, ob’s in den Ferien „wieder in die Heimat“ ginge. Mutlu wurde in in der Waldemarstraße geboren, weshalb er auf die freundliche Kollegenfrage auch nur „Berlin ist meine Heimat, du Arschloch“ zu entgegnen weiß. Da sind Emel und Dilek, die schon als Teenager mit Wahlverwandten ihrer Eltern aus der Türkei verheiratet wurden und heute geschieden bzw. in zweiter Ehe leben. Ünal, dessen Eltern wie alle in Deutschland nur schnell Kohle machen wollten, um dann zurückzugehen. Die ihren sechsjährigen Sohn schon mal vorschickten, allein in ein türkisches Internat, weil sie ja nächsten Sommer auch kämen, aber am Ende doch in Deutschland gestorben sind. Tuna, der sich nie entscheiden konnte, ob er in der Türkischen oder in der Westberliner Handballauswahl spielen sollte. Und Hülya, die wirklich jeden Volkshochschulkurs gemacht hat – außer Deutsch. Obwohl sie genau weiß, dass hier das Problem liegt: „Wenn du mit Akzent spricht, denken die Leute, dass du auch mit Akzent denkst.“

Die Bühne ist wie eine alte Schulturnhalle eingerichtet, mit Böcken, Kästen und einem abgeklebten Spielfeld. Vielleicht soll das an die oft grausigen Momente der Mannschaftsbildung erinnern, wo man nicht wusste, wo man hinwill und wer einen überhaupt wählen wird. Deutsche Flaggen an der Decke zeigen jedenfalls deutlich, wo man ist. Für die Protagonisten nicht der schlechteste Ort: Sie alle sind hiergeblieben, und zwar mit Erfolg. Özcan Mutlu ist Abgeordneter der Grünen, Ünal Yüksel Musikproduzent, Dilek Bölükgiray erfüllte sich ihren Lebenstraum und wurde Polizistin. Auf der Bühne erzählen sie, wie es dazu kam. Wege und Umwege. Kämpfe und Siege, auch über sich selbst.

Gespräche mit den Akteuren bilden die Grundlage der Textcollage, die Duyar und Langhoff montiert haben. So erzählen alle auswendig gelernte Passagen ihrer eigenen Geschichte. Die Offenheit, mit der über die Familie, Sex und Vorurteile gesprochen wird, ist bisweilen frappierend; die Monotonie, mit der das stets monologisch, zentral auf der Vorderbühne frontal zum Publikum geschieht, ist dagegen bald ermüdend. Die szenischen Einfälle, mit denen das Regieteam das eigene starre Format und das hölzerne Spiel der Laien aufzulockern versucht, helfen da nicht. Im Gegenteil: Wenn zwischendurch eine Alte-Damen-Kombo trommelt oder ein paar aufgeregte Kids mehr schlecht als recht rappen, bekommt das Ganze eine clownesk-tragische Note.

Diese Art Dokumentartheater, das weder mit Schauspielern noch Laien im klassischen Sinne arbeitet, sondern Menschen in einer dramatisierten Version ihrer selbst auf die Bühne stellt, erinnert natürlich stark an die Inszenierungen von Rimini Protokoll. Rimini Protokoll nennt die eigene Arbeit „Experten-Theater“, weil ihre Darsteller zwar Amateure im Theater, aber stets Spezialisten auf einem bestimmten Gebiet sind, das sie auf der Bühne vermitteln. In „Klassentreffen“ handelt es sich bei den Akteuren in diesem Sinne um Spezialisten des eigenen Lebens – im Grunde also eher um „Betroffene“. Das macht das Verhältnis zu ihnen näher, den ästhetischen Bezug bzw. Abstand aber schwieriger. Es ist eher eine Art Community-Theatre, dessen Stärke weniger im Bühnengeschehen als in der Theatersituation, also dem gemeinschaftlichen Erleben liegt.

Das ist nicht wenig – mehr, als viele filmische Dokumentationen leisten –, aber wegen der ausnahmslos erfolgreichen Sympathieträger auf der Bühne bleibt alles auch sehr nett. So nett, dass man fast ein wenig enttäuscht ist, dass nach der Vorstellung im Foyer kein Buffet aufgebaut ist, um endlich selbst ins Gespräch mit denen auf der Bühne und im Zuschauerraum zu kommen.

Bis 6. 11., 20 Uhr, HAU 3

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