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Brücken der Liebe

Wenn es um das Verhältnis von Musik und Sprache geht, wird oft mal die Grundsatzfrage gestellt, ob Musik auch eine Sprache ist. Genauso berechtigt ist die umgekehrte Perspektive: Wie viel Musik steckt eigentlich in Sprache? Der italienische Komponist Alessandro Bosetti hat diese Überlegung zu einem zentralen Ansatz seiner Arbeit gemacht. Sprachmelodie, Rhythmus, all diese musikalischen Eigenschaften von gesprochener Rede kommen in seinen Stücken in mitunter komischer Form zur Geltung.

Bosetti erkundet seine Sprachkompositionen gern zusammen mit anderen Künstlern, ohne dass diese zwangsläufig mit den gleichen Mitteln arbeiten müssen. Der Pianist Chris Abrahams etwa, vor allem aktiv im australischen Trio The Necks, erkundet minimalistich-repetitives Terrain, in dem Sprache meistens gar nicht auftaucht. Seine zurückgenommene Spielweise ergänzt sich dennoch bestens mit Bosettis Beiträgen. Und die sind nicht immer zwangsläufig direkt sprachlicher Art.

Neben seinen Experimenten mit Text erprobt Bosetti auch andere Zeichensysteme und lässt schon mal Morsesignale zu den Tönen von Abrahams’ Klavier erklingen. Auf ihrem zweiten gemeinsamen, in Berlin aufgenommenen Album „A Heart that Responds from Schooling“ singt Bosetti sogar Texte anderer Autoren, darunter eine englische Version von Milton Nascimentos „Travessia“. Der Song heißt in der Übersetzung „Bridges“, und seine zerbrechliche Botschaft – die Hoffnung auf Brücken der Liebe – überträgt Bosetti ohne Schonung auf seine eigene Stimme, die beim Singen immer wieder selbst brüchig wird.

Musikalische Zeichensysteme anderer Art erkundet das Berliner Projekt The Pitch. Dem Namen getreu orientieren sich die vier Musiker an Kombinationen von Mengen aus Tonhöhen, Dimensionen oder Dauern. Auf diesem Wege erschaffen sie eine Musik, die ihrer eigenen Auskunft nach weder komponiert noch improvisiert ist. Stattdessen spinnen sie an Klarinette, Harmonium, Bass und Vibraphon zarte Fäden im Raum, die ihren eigenen Gesetzen folgen. Vereinzelt kann man Elemente von Melodien heraushören, die dann aber wieder im Fluss der Klänge, die von Instrument zu Instrument ineinander übergehen, allmählich untergehen. Die Spannung entsteht dabei aus dem diskreten Übergang von Statik in Bewegung. Musik, die sich Zeit lässt, ohne dass sie einem lang wird. TIM CASPAR BOEHME

■ Alessandro Bosetti & Chris Abrahams: „A Heart that Responds from Schooling“ (Unsounds)

■ The Pitch: „Xenon & Argon“ (Gaffer)

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