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Arbeiten ist nicht mehr romantisch

THEATERFESTIVAL IST PASSÉ

Das trubelige Freie-Szene-Festival 100 Grad war mit seinem Überforderungsprogramm schon zu Lebzeiten Legende. Seit Donnerstag findet es zum letzten Mal statt. Ein kleiner Epochenwechsel in Berlins Theaterszene, der eigentlich schon längst stattgefunden hat, aber erst jetzt wirklich sichtbar wird.

Als Anfang des Jahrtausends die Idee für das Festival geboren wurde, war Arbeiten in der freien Szene noch von hehrer Kreativromantik umweht: raus aus den Institutionen mit ihren Sachzwängen, rein ins selbstbestimmte Arbeiten – egal, ob man davon leben konnte oder nicht. Seit Kapitalismuskritiker diese Art des Arbeitens als prototypisch für das Ideal des Neoliberalismus beschreiben, wird das nicht mehr so laut propagiert.

Genau dieses verschwenderische, selbstausbeuterische, letztlich also prekäre Arbeits- und Theaterideal jedoch war es, von dem das Festival und sein wuseliges Projektwesen lebten. Es war die große Castingshow des freien Theaters. Dort aber will man längst nachhaltiger produzieren. Schon seit Längerem kann man öffentliche Fördergelder für die Wiederaufnahme von Produktionen beantragen. Der Trend geht also weg von den kurzlebigen Billig- und Wegwerfproduktionen, die im Orkus verschwinden, sobald sie alle koproduzierenden Spielstätten im deutschsprachigen Raum durchlaufen haben. Die Menge der Spielstätten, die in den letzten zehn Jahren dazugekommen sind, zwingt die Häuser außerdem zu schärferen Einzelprofilen. Bekannte freie Gruppen haben sich zunehmend institutionalisiert, um ihre Arbeit strukturell abzusichern.

Das Festivalgefäß 100[o]passte nicht mehr, da es auf all das keine Rücksicht nahm und ein gemeinsames Festival war, in dem alle gleichrangig nebeneinanderstanden: die Großen und die Kleinen, die Guten und die Schlechten. ESTHER SLEVOGT

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