: Kluge Dramaturgie
FEIERN Es wird Winter: die beste Jahreszeit, um Gäste einzuladen und mit ihnen Gutes zu teilen
1. Seine Gäste auffordern, die Schuhe auszuziehen.
2. Ausschweifende Führungen durch die Wohnung.
3. Aufwendiges kochen, das man nicht im Griff hat.
4. Die Gäste zwei Stunden auf das Essen warten lassen.
5. Vegetariern Fleisch vorsetzen.
6. Lange und ausführlich über die Zubereitung philosophieren.
7. Fragen, ob es geschmeckt hat.
8. Sich hemmungslos betrinken.
9. Sich hemmungslos betrinken und mit der Frau des besten Freundes flirten.
10. Die Gäste abwaschen lassen und sich selbst betrunken ins Bett verziehen.
VON TILL EHRLICH
Ein gutes Fest ergibt sich nicht einfach so. Die Kunst des Gastgebens ist es, Stimmigkeiten zu erzeugen und auf Balancen zu achten, sodass eine Atmosphäre entsteht, in der sich etwas Unwiederholbares, dem Alltag Enthobenes ereignen kann. Dafür braucht es Übung, Erfahrung und vielleicht muss man auch ein, zwei Mal gescheitert sein. Die gute Nachricht: Ein guter Gastgeber muss weder Hobbykoch noch Weinkenner oder Großverdiener sein.
Der Gastgeber Ein guter Gastgeber ist kein Selbstdarsteller. Er besitzt Einfühlungsvermögen, ist nicht cool, sondern großzügig. Seine Großzügigkeit zeigt sich kaum darin, dass er teure Zutaten und Weine kauft, mit Hobbykocherei und Weinwissen protzt oder angeberisch seine Wohnung vorführt. Sondern darin, dass er seine kostbare, knappe Zeit für ein gemeinsames Treffen und dessen Vorbereitung opfert und sich und seinen Gästen etwas gönnt, indem er die Zeit des Zusammenseins mit ihnen bei einem angemessenen Essen genießt und würdigt.
Gemeinsam essen und trinken kann man auch im Restaurant, statt selbst in der Küche zu schwitzen, einen Caterer beauftragen. Doch wenn der Gastgeber seine Gäste mit einem gekochten Essen ehrt, können sich wirklich festliche Momente ereignen. Mit einer überlegten, klugen Dramaturgie, bei der gute Dinge liebevoll arrangiert werden, schafft man ein Ereignis, an das man sich auch später gern erinnert – und das künftig den Gastgeber mit seinen Gästen verbindet.
Deshalb beginnt für den Gastgeber das Fest schon Tage vorher: Er macht sich Gedanken, kauft ein, poliert Gläser, bügelt Tischdecken. Gegebenenfalls bietet es sich auch an, vorzukochen. So kommt er am Abend selbst nicht in Bedrängnis, er kann für seine Gäste mit Geistesgegenwart da sein. Einen gelungenen Abend kann man zwar nicht planen oder erzwingen, doch man kann Vorbereitungen treffen, die einen solchen herbeiführen.
Die Einladung
Spontaneität ist wichtig, hier funktioniert sie jedoch nicht. Die rechtzeitige Einladung ist keine spießige Formalität. Sie ist eine gute Gelegenheit, dezent Abneigungen und Vorlieben seiner Gäste aufzuspüren, Vorfreude auf den Abend zu wecken und falsche Erwartungen frühzeitig auszuräumen.
Der Gastgeber sagt kurz, was es zu essen geben soll, ohne zu viel zu verraten, und erfragt dabei, was die Gäste nicht mögen. Falls Vegetarier darunter sind, kann er für alle nur Fleischloses servieren, einfach weil es mehr Freude macht, an einem gemeinsamen Mahl zu sitzen. Wenn man süßere Weine aufmachen möchte, sollte man fragen, ob die Gäste das mögen. Und falls Kinder dabei sind, ist es gut vorher zu wissen, was sie gern essen.
Das Essen
Ungeeignet sind Gerichte, die erst in letzter Minute frisch zubereitet werden können. Dann schwitzt und rotiert der Gastgeber in der Küche und fehlt gleichzeitig beim Tischgespräch. Das Essen sollte nichts Alltägliches sein, sondern etwas Besonderes – aber auch nichts Elaboriertes und Überkandideltes. Hausmannskost ist nur interessant, wenn sie nicht grob, fett oder sättigend ist, sondern raffiniert und leicht interpretiert wird.
In der Zubereitung der Speisen sollte man sicher sein und sie schon mehrmals praktiziert haben. Hier bieten sich die Familie, der Partner und gute Freunde zum Üben an. Das Schönste ist für einen Gastgeber nicht, wenn ein kompliziertes Soufflee oder eine zeitaufwendige Terrine gelingen, sondern wenn sich das Festliche ereignet, das den Alltag transzendiert.
Wenn Kinder dabei sind, sollte ihr Essen ebenso gut vorbereitet sein. Man kann leicht ins Schleudern geraten, wenn neben der Zubereitung des Hauptessens noch schnell Kindersonderwünsche erfüllt werden wollen.
Es ist immer gut, wenn mehr gekocht wird, als gegessen wird. Großzügigkeit ist eine entscheidende Geste, ohne die es keine Festlichkeit gibt und die über das Gelingen des Abends mitentscheidet. Schön ist, das Essen in Schüsseln und auf Platten anzurichten und nicht wie ein Restaurantkoch auf Tellern. So entsteht Bewegung am Tisch.
Die Gespräche
Ohne gutes Tischgespräch bleibt jede Tischgesellschaft öde. Smalltalk trägt einen Abend nicht. Gutes Essen, guter Wein, gute Gläser, gutes Geschirr und ein stilvoll gedeckter Tisch sind wie das Meer, das das Segelboot des Gesprächs trägt. Der Wind kommt entweder durch interessante Gäste auf oder durch den Gastgeber, der sich für das Geschehen verantwortlich fühlt.
Am besten ist es, wenn es ein gemeinsames Thema gibt und nicht allein die Eloquenten und Extrovertierten das Gespräch am Tisch dominieren. Einzelgespräche sind kontraproduktiv, wenn sie zu lange und intensiv geführt werden. Auch Expertenthemen killen das Tischgespräch. Wird zu viel über das Essen geredet, kann der Gastgeber schnell auf die Rolle des Kochs reduziert werden.
Der Wein
Der Wein hat bei einem festlichen Essen den Sinn, anfängliche Unsicherheiten und Hemmungen zu lösen und sowohl die eigene als auch die allgemeine Stimmung zu heben. Besonders, wenn man Gäste eingeladen hat, die sich noch nicht kennen. Deswegen sollte der Willkommensschluck rasch und schon zur Begrüßung gereicht werden. Am besten ein Wein, der inspirierend und leichtfüßig ist. Perfekt eignen sich prickelnde Weine, die nicht zu trocken sind.
Günstig ist, verschiedene Weine in petto zu haben, um auf die Entwicklung des Abends reagieren zu können. Der Wein soll geschmacklich nicht zu schwierig sein. Nicht jeder Gast interessiert sich für Wein. Eine gute Winzerqualität, die sich mit Freude zum Essen trinken lässt, tut es meist. Ein erfahrener Gastgeber schenkt schöne Weine ein und macht nicht viel Wirbel um sie.
Die Wein-Dramaturgie ist einfach. Der Gastgeber stellt nicht einfach Flaschen auf den Tisch, er schenkt persönlich jedem Gast ein. Zu Beginn des Abends lässt er den Wein fließen. Sobald alle gelöst sind, empfiehlt es sich, das Tempo unauffällig zu drosseln. Wenn eine Grenze überschritten wird, stirbt das Tischgespräch, manche Männer beginnen laut und eindringlich zu reden oder werden sentimental, es wird schnell peinlich, und die Frauen leiden stumm und stoßen ihre Männer unterm Tisch mit dem Fuß an.
■ Der Test: Ob sich die sonntaz-RedakteurInnen als gute Gastgeber erweisen, erfahren Sie in den nächsten vier Ausgaben. Dann kochen sie nämlich. Jede Woche ein anderer. Und damit es nicht zu einfach wird, kocht jeder drei Gänge in einer – und nur einer – Farbe. Der erste Advent wird: goldgelb.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen