Der Geltungsdrang der Oligarchen

SCHRIFTEN ZU ZEITSCHRIFTEN Auch die Kunstwelt scheißt stets auf den größten Haufen. „Texte zur Kunst“ widmen sich den Sammlern

An radikaler politischer Rhetorik gibt es in der Kunstwelt keinen Mangel. Aber an Selbstreflexion

Ich will mitspielen! Mit städtebaulich deutlicher Geste pflanzte der Kunstsammler Thomas Olbricht seinen „me Collectors Room“ als sperrigen Gebäuderiegel in die Berliner Auguststraße. Das stolz nach Aufmerksamkeit heischende Ego merkt man dem Privatmuseum an, mehr noch zeugt der Name vom Selbstbewusstsein, einer sein zu wollen in der glitzernden Kunstwelt. International gesehen ist Olbricht allerdings nur ein kleiner Fisch, verglichen mit Sammlern vom Geltungsdrang eines Roman Abramowitsch, François Pinault oder Victor Pinchuk.

Niklas Maak, Kunstredakteur der FAZ, eröffnet das Heftthema „Sammler“ der jüngsten Texte zur Kunst mit einer aktuellen Beweisaufnahme zur Anreicherung intellektuellen Kapitals über das Spiel mit der zeitgenössischen Kunst. Jeder Gast des Eröffnungsspektakels der diesjährigen Biennale von Venedig dürfte seine Beobachtungen teilen: „Megasolvente“ Privatsammler traten in massive Konkurrenz zur Biennale selbst. Zeitlich, weil sie den ohnehin schon eklatanten Terminstau der Previewtage mit pompösen Veranstaltungen aufblähten. Räumlich, weil sie etwa mit der von Abramowitschs zentral zwischen Arsenale und Giardini geankerten Jacht den öffentlichen Weg zu einem von Absperrungen und Sicherheitspersonal eingeschränkten Korridor privatisierten. Finanziell, weil sie wie Pinchuk die Möglichkeit haben, absurd hoch dotierte Kunstpreise auszuloben. Vor allem aber gesellschaftlich, weil hinter ihrer eitlen Liebe zur Kunst eben wirtschaftliche und politische Interessen stecken.

Ob Spekulant, Luxusmakler oder Stahlmagnat – in den Kollektionen des Neuen Geldes tauchen allerorten dieselben Künstler auf: Damien Hirst und Jeff Koons, Takashi Murakami oder Maurizio Cattelan. Überall zeige sich das redundante Potpourri einer „optisch überschäumenden Spumantekunst für den Oligarchenbedarf“. Wirklich beunruhigt Maak aber, dass mit der Zusammenballung von finanzieller Macht und instrumenteller Einflussnahme während des Marschs durch die traditionellen Netzwerke und Institutionen die Kunstwelt einer fundamentalen Transformation unterliegt, „in der Bedeutung herstellbar und Karrieren vollkommen steuerbar werden“. Mittlerweile stünden schon Direktoren der großen Museen in Beraterdiensten der Sammler oder die Institutionen öffneten ihre Türen, um private Sammlungen auszustellen – und aufzuwerten.

Eine Umfrage unter Museumsleitern zum Missverhältnis von öffentlicher zu privater Sammlungstätigkeit führt zu erstaunlich diversen Ergebnissen. Während Udo Kittelmann von der Berliner Nationalgalerie mit einer Mischung aus Zweckoptimismus und Naivität in die Zukunft blickt, sehen Chris Dercon von der Tate Modern oder Christine Macel vom Centre Pompidou die Präsenz privater Kunst im öffentlichen Museum skeptischer. Einig sind sie sich jedoch in der Bekräftigung, den gesellschaftlichen Auftrag der Museen als Bildungs- und Geschichtsinstitutionen aus sich selbst heraus stärken zu müssen, etwa über die verstärkte Arbeit mit der eigenen Sammlung. Mit privaten Investitionen in die zeitgenössische Kunst können sie bekanntlich nicht mehr konkurrieren.

Andrea Fraser, Künstlerin und Professorin in Los Angeles, veranschaulicht, womit die Topsammler der Welt ihr Geld verdienen (Industrie, Luxusgüter, Hedgefonds, Private Equity) und mit welchen Tricks sie es vermehren (Insiderhandel, Steuerhinterziehung, Bestechung). Wie Frasers Analyse zeigt, „arbeiten viele unserer Mäzene aktiv daran, das politische und finanzielle System zu erhalten, das ihren Reichtum – und die Ungleichheit – bewahrt und noch über viele Jahrzehnte wachsen lassen wird“. Künstler, Kuratoren, Museumsleiter und andere Nutznießer dieses Systems machten sich also mitschuldig, auch wenn sie vordergründig kritische Reden schwängen. „Trotz der radikalen politischen Rhetorik, an der in der Kunstwelt kein Mangel herrscht, herrschen Zensur und Selbstzensur vor, wenn es darauf ankommt, ihre wirtschaftlichen Bedingungen zu hinterfragen.“ Frasers Forderung an die Protagonisten des Betriebssystems Kunst, „ihr kulturelles Kapital aus diesem Markt zurückzuziehen“, ist ehrenwert. Ihr Vorschlag, eine neue Autonomie der Kunst durch „vollständig institutionalisierte Strukturen“ zu etablieren, die imstande sind (nicht nur) das kulturelle Kapital zu produzieren und angemessen zu verteilen, erscheint jedoch mehr als illusorisch. MARCUS WOELLER

■ „Texte zur Kunst“, Heft 83, 15 Euro