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Alter

Luzia Braun

60, Journalistin, stellvertretende Chefin der ZDF-Sendung „Aspekte“ und 18 Jahre lang das Gesicht der Sendung.

15.45 Uhr: Luzia Braun will früher los, und es wäre gut, wenn wir anfingen, noch bevor die Filmgruppe beendet ist. Dort diskutiert Maren Kroymann mit, und die hätten wir gern beim Gespräch über Alter und das Bild von älteren Frauen in den Medien dabei. Währenddessen kommt eine junge Frau verunsichert in die Tussy Lounge. Wir fragen: „Friseur oder Gespräch?“ Sie: „Make-up.“

Ab wann ist man alt?

Luzia Braun: Wenn man beginnt, übers Alter zu sprechen. Und wenn Menschen um einen herum krank werden und sterben.

Anja Müller: Ich habe mein Buch 60 Plus – erotische Fotografien gemacht, als ich noch jung war. Inzwischen merke ich: Ich kann Nächte nicht mehr durchmachen und mein Körper tut weh. Ich werde alt.

Braun: Das Thema wird von außen an mich herangetragen, ich fühle mich nicht so. Ich werde 61, fühle mich aber wie 40. Nur blickt mich, wenn ich in den Spiegel schaue, eben keine Vierzigjährige an.

An sich müsste das Alter nicht so schlimm sein, wäre am Ende nicht diese Riesenkränkung: der Tod. Verbunden mit der Abwertung, die besonders alte Frauen erfahren, das ist zu viel.

Braun: Sind wir Frauen nicht die Ersten, die die Abwertung betreiben? Wenn die Haut nicht mehr straff ist, die Bäckchen hängen. Wir haben die Abwertung, die damit verbunden ist, doch verinnerlicht.

Was war zuerst, die Henne oder das Ei? Die Abwertung oder deren Verinnerlichung? Sie haben freiwillig Ihren Job als ZDF-Moderatorin von „Aspekte“ aufgegeben. Gut, vielleicht haben Sie gedacht, ich habe genug Geld verdient, will sagen: Wie freiwillig war denn Ihr Abgang?

Braun: Ganz und gar freiwillig. Mit Geld hatte es nichts zu tun. Ich hatte die Sendung 18 Jahre moderiert und das Gefühl: Es reicht. Ich will nicht so eine Alte sein, die am Stuhl klebt.

Also doch Ängste von außen?

Braun: Natürlich kam das Älterwerden dazu. Ich wollte nicht, dass man mir dabei zuschaut.

Den Männern macht das nichts aus.

Braun: Offensichtlich nicht. Aber Frauen, die auf dem Bildschirm älter werden, stehen unter massiven Druck, jung auszusehen – und tun das mithilfe diverser Mittel, Operationen, Botox. Frauen dürfen nicht altern im Fernsehen. Mir ist klar, wie widersprüchlich ich argumentiere: dass ich auf der einen Seite gehe und auf der anderen beklage, dass es keine Vorbilder gibt.

Müller: Tja, eine müsste anfangen.

Braun: Die Frauen verschwinden zwischen sechzig und achtzig von der TV-Bildfläche und dürfen dann wieder als Zeitzeuginnen zurück. Weil es dieser Zeitraum ist, in dem Frauen sichtbar altern. Mit fünfzig kann man das noch kaschieren. Aber beim Hals und den Händen ist Schluss.

Madonna wird regelrecht gejagt, erwischen die Fotografen ihren Hals, ihre Hände.

Müller: Menschen können im Alter auch schön sein! Aber gut, wenn man die Dove-Werbung nimmt, da geht es auch nur darum, alte Menschen anzusprechen, damit sie kaufen. Die dürfen jetzt nicht mehr mit Kittelschürze rumlaufen, müssen fit sein, Sex haben.

Was ist mit Gegenbeispielen? Angela Merkel wird nicht an ihrem Aussehen gemessen.

Braun: Nicht mehr.

Als Frau verschwindet sie. Sie wird über Macht definiert.

An der Stelle wird an die große Gelegenheit erinnert, als die Weiblichkeit der Angela Merkel stattfand: 2008 in Norwegen bei der Eröffnung der Oper in Oslo. Sie zeigte ihr Dekolleté. Fast zeigte sie mehr. Dass es eine bewusste Inszenierung ihres Körpers war, glaubt hier niemand.

Nach der Menopause bekommen Frauen mehr männliche Energie, sie werden damit mehr zu Konkurrenten für Männer.

Braun: Was? Erleben Sie das so?

Anja Müller

44, Fotografin, unter anderem „Mittendrin. Frauen zwischen 45 und 55“ und „60plus. Erotische Fotografien“. Demnächst: „Paare“.

Eine Schilderung der körperlichen Veränderungen bei Frauen im Alter folgt: dass den Frauen Barthaare sprießen, dass die Taille verschwindet, der weibliche Körperbau sich dem männlichen angleicht, der männliche dem weiblichen, dass das für Männer eine Kränkung sein kann, die sie mit Abwertung quittieren.

Braun: Der Matussek schrieb im Nachruf auf die Schauspielerin Susanne Lothar: Schön war sie nicht, ihre Brüste hingen. Darauf schrieb Sybille Berg: Nicht mal als Leiche wird man in Ruhe gelassen. Es geht schon um einen spezifischen Sexismus. Der männliche Blick bewertet, er bestimmt, was schön und attraktiv ist. Wir Frauen übernehmen das, unser Blick auf uns ist versaut, das ist das Problem. Neue Bilder braucht das Land.

Da gibt es feministischen Handlungsbedarf.

Braun: Nämlich?

Müller: Dass es uns endlich egal ist, wie wir aussehen.

Braun: Um Gottes Willen, hoffentlich ist uns das nie egal.

Im Alter erst recht nicht?

Braun: Mir fällt im Austausch etwa mit Hospitanten oft auf, wie gut es unsere Generation hatte, wie aufregend die Siebziger waren, wie politisch, experimentell und ja: wild. Die kollektive Lust, Neues auszuprobieren, Politik anders zu verstehen, sei es in WGs, bei Hausbesetzungen – das hat es so später nicht gegeben, und ich hoffe, dass dieses intensive Leben uns das Altern erleichtert.

Werden in der Zusammenarbeit mit Jüngeren Rollen an einen herangetragen, die man nicht will. Die Mutterrolle etwa?

Braun: Ob Mutter oder nicht, ich kümmere mich sehr um junge Frauen in der Redaktion, versuche, sie zu fördern. Oft fragen sie mich, wie das bei mir war, und da merke ich, dass es viel leichter war. Ich war Quereinsteigerin, wurde mit 39 Moderatorin – da hören andere auf. Ich konnte mir Zeit lassen, hatte keine Angst vor der Zukunft und Karriere war ein Fremdwort. Jetzt kommen junge Kolleginnen, sprechen vier Sprachen, waren ein Jahr im Ausland und finden trotzdem keinen Job.

Der Bruch zu der Generation vorher war aber viel größer.

Braun: Stimmt, jetzt hat man eher das Gefühl, auch Gemeinsamkeiten zu haben.

Wie ist Ihre Mutter gealtert?

Braun: Meine Mutter war und ist immer noch sehr elegant, ich kann ihre Kleider tragen. Sie war Mutter aus Leidenschaft, hatte dann aber große Probleme, als wir aus dem Haus gingen. Sie litt unter einer gewissen Leere.

Die Leere der alten Mütter – im Fernsehen, in den Medien ist sie kein Thema. Und wirkliche Lobbyarbeit für ältere Frauen findet nicht statt.

Über Aussehen

„Sind wir Frauen nicht die Ersten, die die Abwertung betreiben? Wenn die Haut nicht mehr straff ist, die Bäckchen hängen. Wir haben die Abwertung, die damit verbunden ist, doch verinnerlicht“

LUZIA BRAUN, ZDF-JOURNALISTIN

Braun: Viel gelungen ist uns da nicht. Ich habe ja auch nicht weitergemacht, bin aber gespannt, wie lange Anne Will, Sandra Maischberger und Maybrit Illner durchhalten? Ob die die 60er knacken ? Das wären dann schon mal drei.

Senta Berger, Iris Berben, Elsner – es gibt Gegenbilder bei Frauen im Film, schon fast eine Armee.

Braun: Nein, es sind immer diesselben drei, die genannt werden – und sie sehen auch nicht so alt aus, wie sie sind. Bis auf Hannelore Elsner vielleicht. Sie ist wirklich eine der wenigen, die nicht aufgespritzt oder operiert ist.

Braun ruft Maren Kroymann am Nebentisch zu: Maren, wir kommen nicht weiter. Glaubst du, dass die Fernsehzuschauer gerne mehr ältere Frauen im Fernsehen sehen würden?

Maren Kroymann: Unbedingt. Ich fand es schade, dass sich Dagmar Berghoff liften ließ, in vorauseilender Selbstzensur. Wir sind zahlreich als Konsumentinnen, wir müssen auch abgebildet werden.

Braun: Ja schon, aber der Preis ist ganz schön hoch.

Kroymann: Carola Stern zum Beispiel, die war ja die erste Frau, die auch in den Tagesthemen gesprochen hat. Da kamen dann Leute und sagten, also so, wie Sie aussehen. Man hat sie auf der Erscheinungsebene fertiggemacht. Carola Stern war die Paradeintellektuelle damals und hat furchtbar darunter gelitten. Man will ja nett behandelt werden.

In der Zwischenzeit tauchte Nils Pickert von der „Männer-Runde“ auf. Enttäuschung: Er sollte im Rock kommen, trägt aber Jeans. Und Martin Rheinländer stürmt mit großem Umarmungsbegehren um 16.30 Uhr herein.

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