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Musik

Andrea Goetzke

Kuratorin und Kulturproduzentin. Organisiert zahlreiche Musikkoperationen, darunter das „Torstraßenfestival“ in Berlin.

Der Kinderwagen ist geparkt, die Social-Media-Frauen werden sanft an den zweiten Tisch abgedrängt.

In der Gesprächsrunde vorher ging es darum, dass Aktivistinnen im Bereich Games und Social Media oft die Klischeedarstellungen der Geschlechter tauschen, um sexistische Stereotype zu zeigen. Etwa, dass Frauen hypersexualisierte Posen einnehmen, die bei Männern lächerlich wirken. Geht das auch in der Musik? Oder sind die Rollen hier weiter gefasst?

Sookee: Es gibt mehrere Modelle gleichzeitig. Es gibt Hyperfemininisierung, es gibt Hypermaskulinisierung, aber auch einen Spielraum für männliche androgyne Positionen. Und einen kleineren Spielraum für weibliche androgyne Positionen. Im Emo-Bereich haben etwa sanfte männliche Gemüter Raum, solange sie sich als heterosexuell erweisen. Wer aus diesen Schemata ausbricht, kann immer noch in der Exotikecke landen. Mykki Blanco etwa …

eine amerikanische Rapperin, die als Frau auftritt, aber außerhalb dieser Rolle auch als Mann.

Sookee: Das ist die Koryphäe des Queer-HipHop, hat aber mit der regulären HipHop-Szene nichts zu tun. Oder es gibt Leute wie Lady Gaga, die mit der Künstlerin Marina Abramovic irgendwo nackt im Wald steht. Sie sind die Ausnahmen, die die Regel bestätigen.

Lady Gaga ist hyperfeminin, aber persifliert: Sie hat einen femininen Panzer, der nicht mehr sexuell lesbar ist. Es gibt Leute wie Kanye West, der manchmal Rock trägt. Wird der Mainstream aufgeweicht?

Andrea Goetzke: Das wird eher als Kunst gewertet. Aber es ist kein Highschool-Thema.

Wie ist das in der klassischen Musik? Da fallen einem zuerst die Sopranistin Anna Netrebko und die Geigerin Anne Sophie Mutter ein …

Charlotte Seither: Die Frauenbilder in der Klassik sind leider sehr konventionell. Es gibt keinen Platz dafür, Rollenmuster anders zu gestalten, als dies schon immer der Fall war. Ich denke zum Beispiel an Antje Weithaas, eine unglaublich tolle Geigerin. Sie war für mich lange Jahre eine Art Gegenentwurf zu Anne Sophie Mutter. Antje Weithaas trägt kurze Haare, Brille, hat eine andere Gestalt. Sie ist eine hinreißende Geigerin, die aber keine solche Karriere hingelegt hat. Selbst in meinem Bereich, in der neuen Musik, sind Frauen eher ein „crazy element“, weil es historisch so wenige Rollenvorbilder gibt.

Keine Frau Beethoven, keine Frau Mozart …

Seither: Es gibt nur einige wenige Frauen, wie etwa Annette Schmucki, eine Komponistin aus der Schweiz, die ein weibliches Erscheinungsbild eher negieren: raspelkurze Haare, eine große Brille und Kleidung, die den Körper nicht definiert. Sie begreift das als Spiel. Aber der Betrieb goutiert das nicht, im Gegenteil. Das ist frustrierend. Und wenn eine Geigerin den ARD-Wettbewerb gewonnen hat und die gewünschten ästhetischen Voraussetzungen nicht mitbringt, wird sie keine Karriere machen. Die Agenturen haben da eherne Gesetze.

14.07 Uhr: Der Kinderwagen ruckelt. Sookees Baby ist aufgewacht.

Aber immerhin gibt es nicht so einen Jugendwahn in der Klassik, oder?

Seither: Doch, das ist das zweite Problem. Ich habe gerade vor Kurzem mit einer Pianistin gesprochen, die ich sehr schätze. Sie ist jetzt Mitte 50. Als sie 15 bis 20 war, war sie ein Jungstar und hat überall Mozart-Klavierkonzerte gespielt. Sie war sehr gefragt. Sie sagt: Ich bin keineswegs schlechter geworden, im Gegenteil. Ich werde aber einfach für die großen Bühnen nicht mehr gebucht. Für einen Dirigenten ist es nicht schwierig, mit 92 Jahren noch Schuberts „Unvollendete“ zu dirigieren, auch wenn er dabei fast umkippt. Alter wird bei den Geschlechtern unterschiedlich bewertet.

Man würde vermuten, dass es in der Klassik um andere Werte geht als Aussehen und Alter. Anders als etwa im HipHop …

Sookee: Für HipHop als Jugendkultur spielt das Alter eine besondere Rolle. Aber: Als alternder HipHopper, als Mann, wird man eine wandelnde Wissensinstanz, authentischer Zeitzeuge einer gloriosen Vergangenheit. Die meisten Frauen sind dagegen abgewandert, Queen Latifa hat eine Talkshow. Viele sind in die Mutterschaft gegangen.

Charlotte Seither

49, ist vielfach ausgezeichnete Komponistin für Neue Musik. Gerade erschien die CD „Equal Ways of Difference“ mit neueren Werken.

14.30 Uhr: Das Baby schreit. Hat es Hunger?

Hört vielleicht eine Generation Klassik, die sich noch nicht so sehr mit Emanzipation auseinandergesetzt hat?

Seither: Erst mit der Neuen Musik wird das etwas anders. Zum Beispiel das Ensemble Modern. Das hat sich in den 80er Jahren aus einem Gegenimpuls zum klassischen Konzertbetrieb gegründet. Alle heftigen Instrumente besetzen sie mit einer Frau. Tuba, Schlagzeug, Kontrabass, Posaune. Man hat Dirigentinnen eingeladen. Die Männer durften klein und dünn sein, die Frauen groß und dick. Es ging darum, Klischeebilder ganz bewusst zu unterlaufen. Aber das ist nur der linke äußere Rand der Szene, in den Orchestern sieht das immer noch anders aus.

Sookee: Und der Mainstream bleibt im Klischee hängen?

Seither: Ja. Ich habe viel mit jungen Frauen zu tun, die Operngesang studieren. Manche bewegen sich und kleiden sich so wie die Opernstars in den 60er Jahren. Man hat doch mit 20 heute das Recht, das Frauenmodell komplett neu zu definieren. Aber dann fällt vielen nur Anna Netrebko ein, die das Klischee wiederum befestigt.

Liegt es daran, dass nur wenige groß rauskommen werden und man sich deshalb keine Abweichung leistet?

Seither: Ja. Ich fahre morgen zu einem internationalen Gesangswettbewerb. Auch bei Wertungsrunden treten die Sängerinnen im Abendkleid auf.

Sookee: Und was würde passieren, wenn jemand in einer Trainingshose ankommt?

Seither: Keine Ahnung. Ich habe es noch nicht erlebt.

Aber das Zahlenverhältnis scheint in der Klassik ausgewogener zu sein. In Popmusik-Studiengängen werden viel mehr Männer aufgenommen.

Goetzke: Es gibt entweder komplette Frauenbands, oder es ist eine besondere Frontfrau, eine Sängerin. Die Rolle der einfach nur technisch versierten Bühnen- oder Studiomusikerin ist eher ungewöhnlich.

Sookee: Wenn es eine Instrumentalistin ist und nicht die Frontfrau, dann hat die auf jeden Fall einen auffälligen Look. Eine, die das Instrumentalisten-Nerdtum als sexy an sich pflegt: Das wird nicht gesehen.

Die Musikwissenschaftlerin Mavis Bayton hat mal gesagt: „Male fans buy a guitar and female fans buy a poster.“

Sookee

31, auch „Quing of Berlin“, ist Rapperin, die sich gegen Sexismus und Homophobie engagiert. Letzte Platte: „Lila Samt“, 2014.

Seither: Dass Frauen nur bewundern oder Musen sein sollen, ist Ausdruck einer Angst. Ich arbeite als Komponistin viel mit Dirigenten zusammen. Und die sind es nicht gewohnt, dass ihnen eine Frau erklärt, wie etwas gemeint war. Das Komponieren ist letztlich ein Zeugungsakt. Dass Frauen das auch tun, irritiert viele Männer.

Goetzke: Das sind die Strukturen. In Musikläden zum Beispiel arbeiten meistens Männer. Wenn ich früher eine E-Gitarre kaufen wollte, war das schrecklich, weil mir im Laden vermittelt wurde: Was willst du denn hier?

Seither: Wenn man mit Kindern in der Grundschule arbeitet, erlebt man oft, dass es gerade die Mädchen sind, die die guten Ideen haben und die toll komponieren können. Leider werden es dann bis zum Abitur immer weniger.

Das ist das sogenannte Loss of Voice Syndrome, auch Ophelia-Syndrome genannt: Das Mädchen verstummt durch die Pubertät. Das hat, sagt man, sogar einen Superstar wie Björk gequält: Es wurde ständig angezweifelt, dass sie ihre Musik selbst produziert.

Sookee: Und damit die Frau nicht in die Opferrolle gerät, hat sie sich über zehn Jahre verkniffen zu sagen: Ey Alter, ich hab das gemacht und nicht er.

Im Musikjournalismus erlebt man ständig, dass viele glauben, Frauen seien das hübsche Gesicht, aber im Hintergrund frickelt ein männlicher Mastermind.

Sookee: Mir fällt da eine professionelle Produzentin für den Bereich Pop in Deutschland ein: Melbeatz, die auch Queen of Beats genannt wird. Sie mag das F-Wort gar nicht in den Mund nehmen. Aber langsam fängt sie an zu fragen: Leute, wo sind die anderen Frauen? Man kann beobachten, wie sie über dieses Neoliberale „Man muss es nur gut genug anstellen“ langsam hinwegkommt. Es ist tatsächlich ein Trauerspiel. Ich wünschte mir, dass ich selbst diese ganzen abgefahrenen Softwares einigermaßen domptieren könnte. Aber das ist tatsächlich noch eine große Leerstelle.

Goetzke: Im Do-it-yourself-Bereich gibt es aktuell viele Frauen, die ihre eigene Musik produzieren. Durch die Möglichkeiten, zu Hause am Computer alles allein basteln zu können, ohne dass man auf eine Band angewiesen ist. Da hilft der Computer, etwas unabhängiger von den männlichen Strukturen zu arbeiten.

In Charlotte Seithers Biografie reiht sich ein Auslandsstipendium an das andere. Und sehr viele Preise. Im vergangenen Jahr bekam sie den Deutschen Musikautorenpreis. Braucht auch die U-Musik so eine Förderstruktur?

Sookee: Das gibt es schon. Aber es gibt eine Altersbegrenzung bis 25. Und eine Frau schreibt mir: Ich habe zwischen 17 und 22 mein Kind durchgebracht, wird mir das als Elternzeit angerechnet? Wer darf länger draußen bleiben, um im Probenkeller abzuhängen und ein bisschen Musik zu üben? Gerade in den Förderungen müssen Frauen gepusht werden. Dem Publikum ist es egal, ob Frauen gefördert wurden oder nicht. Die sehen einfach, da sind jetzt noch mal fünf mehr.

Goetzke: Wenn Festivals gefördert werden, könnte man die doch quotieren. Ich fände das gar nicht mal so schlecht. Bei unserem kleinen Festival, dem Torstraßen-Festival in Berlin, bemühen wir uns jedenfalls um ein möglichst ausgeglichenes Geschlechterverhältnis. Wir machen zunächst eine Liste: Was und wer fällt uns ein? Dann ist etwa ein Drittel Frauen dabei. Danach machen wir eine zweite und noch eine dritte Runde: Und siehe da, dann finden wir immer mehr Frauen.

mehr auf taz.de

■ „Wo früher gesagt wurde, Frauen sollen zurück in die Küche, wird halt jetzt gesagt, Frauen haben im Internet nichts zu suchen. Und das ist natürlich Quatsch“, sagt Anne Wizorek im Videointerview. Wizorek ist Initiatorin der #aufschrei-Kampagne auf Twitter, die sich Anfang 2013 zu einer breiten Debatte über Sexismus entwickelte. Wizorek war Gast des langen taz-Gesprächs zum Frauentag, das wir in der Tussy Lounge in Berlin-Friedrichshain geführt haben.

■ Die Videostatements von Anne Wizorek, der Illustratorin Nina Kiel und der Berliner HipHopperin Sookee finden Sie auf taz.de/frauentaz

Seither: Der wichtigste Musikpreis in der Klassik ist der Siemens-Musikpreis, dotiert mit 250.000 Euro. Dazu gibt es drei Förderpreise, dotiert mit 30.000 Euro. Der Rückblick zeigt: Der Siemens-Musikpreis wurde bislang fast ausschließlich an einen Herrn vergeben. Bei den drei Förderpreisen ist dann mal eine Frau dabei.

14.35 Uhr: Es ist voll, kaum Platz zum Treten. Die Luft ist zum Schneiden, der Kaffeeautomat brummt, das Blitzlicht der Fotografin flasht. Und alle reden durcheinander.

Sookee: Wir machen eine Female-Focus-Partyreihe in einem Club, da ist auf allen Ebenen eine Überzahl Frauen zu finden. Das ist kein Separatismus von Männern, sondern eine Konzentration auf Frauen. Dort höre ich Frauen, weil ich sie gut finden will, die aber noch in der Entwicklung sind. Aber auch welche, die ich wirklich gut finde.

Goetzke: Der Entwicklung der Frauen muss man Raum geben: Je mehr Gelegenheiten, desto besser werden sie.

Seither: In der E-Musik gibt es Frauen, die richtig toll sind. Man muss sich gar nicht anstrengen, sie gut zu finden, sie sind es bereits. In meiner Komponistengeneration gibt es etwa zehn Frauen, die top sind.

Sookee: Und wie viele Männer?

Seither: Ähm …

Sookee: Ich kann dir problemlos 15 deutsche Rapperinnen nennen, die ich richtig gut finde. Ich kann dir aber auch 500 Jungs nennen, die ich technisch richtig gut finde. Vom Inhalt ihrer Texte mal zu schweigen.

Über Klassik

„Die Frauenbilder in der Klassik sind leider sehr konventionell“

CHARLOTTE SEITHER, KOMPONISTIN NEUER MUSIK

Eine reine Frauenband hat erstmal Show-Wert, oder?

Sookee: Im HipHop nennt man so was Tittenbonus. Das wird den Frauen dann allerdings angekreidet. Schwesta Ewa etwa …

eine Rapperin, die früher als Sexworkerin gearbeitet hat, was ja immer wieder erwähnt wird …

Sookee: Sie wird gerade total gehypt. Bei der nächsten Runde wird man feststellen: Wir wissen schon, dass sie mal anschaffen gegangen ist. Dann wird sie kein Thema mehr sein.

Schaffen wir einen positiven Schluss? Immerhin ist unser Thema gerade in aller Munde: im Film, im Journalismus, bei Vereinen wie Pro Quote …

Sookee: Und danach, wenn wir dann die Cis-geschlechtlichen Frauen untergebracht haben, müssen wir noch gucken, was mit den anderen Geschlechtern ist. Das ist die nächste Aufgabe.

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