piwik no script img

Dithmarscher Nationalismen

LITERATUR Der neue Krimi des Hamburger Historikers Jörgen Bracker beleuchtet Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit im Schleswig-Holstein der Jahrhundertwende

VON PETRA SCHELLEN

Historische Romane sind ja immer so eine Sache. Nie weiß man genau, woran man ist – ob der Autor also Fantasie oder Recherche walten ließ. Andererseits – wer liest schon exakte, aber staubtrockene Abhandlungen über vergangene Zeiten?

Der in Hamburg lebende Autor Jörgen Bracker, der den jüngst edierten historischen Roman „Hinter der Nebelwand“ schrieb, ist eigentlich Wissenschaftler. Er hat Archäologie studiert und leitete bis zu seiner Pensionierung 2001 das Museum für Hamburgische Geschichte. Aber er hat erkannt, dass Fakten nicht alles sind. Sie müssen vermittelt werden, und das geht am ehesten über Fiktion. Deshalb schreibt er seit einigen Jahren historische Romane – oft über Störtebeker und die Hanse-Zeit.

Der Krimi „Hinter der Nebelwand“ spielt nicht im Mittelalter, sondern 1911. Zunächst geraten da mal die Dithmarscher in Panik, weil am Strand ein Boot mit einem Toten angespült wird. 23 war er und wollte Fischer werden. Das Boot, in dem er starb, sollte sein erstes eigenes sein.

Und hier beginnen die Schwierigkeiten. Denn er wusste zwar, dass einen Großteil der mächtige Fischfabrikant bezahlt hat – als Vorschuss für den später abzuliefernden Fang. Den Rest aber wollte der junge Fischer aus Erspartem beisteuern. Dass sein Vater das inzwischen verjubelt hatte, wusste er nicht. Zudem hat sein Vater ihn als Verlobten an die Tochter des Unternehmers verscherbelt, ohne dem Sohn Bescheid zu sagen. Der erfährt es bei der öffentlichen Schiffstaufe. Er freut sich nicht.

Konfliktpotenzial en masse also, aber dabei bleibt es nicht. Die zweite Hälfte der Handlung spielt im Milieu polnischer zugewanderter Fischer und Krabbenfänger, von denen es damals viele in Dithmarschen gab. Sie waren nicht beliebt, und die Dithmarscherinnen glaubten, die Polinnen nähmen ihnen die Männer weg.

Die Geliebte des Toten war eine von ihnen, und dass die Leute sie alsbald des Mordes verdächtigen, offenbart die Fremdenfeindlichkeit der Gegend. Sie lag in der Luft, wurde stärker, erste „Wehrvereine“ mit nationalistischem Profil bildeten sich; Keime des Nationalsozialismus, der später in Dithmarschen auf besonders fruchtbaren Boden fiel.

Und schon ist man drin in der Aktualität der Geschichte, auch wenn die angefeindeten Gruppen gewechselt haben. So inaktuell, wie es schient, ist dieser Roman also nicht, und getragen wird er von einem rechtschaffenen, zupackenden Arzt, der nicht an die Schuld der Polin glaubt.

Ein packender, auf einem historischen Fall basierender Roman, an dessen altmodisch-schleppenden Duktus man sich schnell gewöhnt. Und in dem natürlich die Gerechtigkeit siegt.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen