KUNSTRUNDGANG: Andrea Edlinger schaut sich in den Galerien von Berlin um
Dass eine Ausstellung zum Thema „Interieurs“ bei Laura Mars in Kreuzberg stattfindet, ist nicht ohne Witz. Denn die Galerie ist nicht nur eine der spannendsten, sie ist auch eine der kleinsten Berlins. Jetzt sind ihre Räume sogar noch enger, denn die beiden Kuratoren Marcus Weber und Christoph Bannat ließen die Galerie für „Heute jedoch nicht“ mit fragilen, papierbespannten Wänden teilen, um Räume zu schaffen, die unterschiedlicher kaum sein könnten: Durch ein Fenster im ersten Flur fällt der Blick auf Anna Lea Huchts Kohlezeichnung, die den äußerst ordentlichen Wohnraum einer Kunstsammlerin zeigt, der zweite Raum wird mit Evgenij Kozlovs pornografischen Tuschezeichnungen zur Erotikkammer, dahinter erinnern Manuela Wossowskis kleinformatige Bilder an die schummrig warmen Wohnzimmer von Großeltern – Einsichten in Lebenswirklichkeiten, die so gar nichts mit den „Interieurs“ in Design-Magazinen zu tun haben.
Ähnliches Thema, anderer Ort: Michael Kalmbach hat aus der Galerie Wohnmaschine ein Kinderzimmer gemacht. Ein Tischlein mit Ministühlen steht in der Mitte, daneben eine Wiege, die Tapete ist fröhlich gemustert, Marionetten hängen von der Decke. Ein Traum von einer Kinderstube auf den ersten Blick, ein Alptraum auf den zweiten – was zunächst nach „schöner heiler Welt“ aussah, entpuppt sich auf den zweiten Blick als Fall fürs Jugendamt: Auf Michael Kalmbachs Aquarellen und auf der von ihm bemalten Tapete ziehen, nein, reißen Eltern ihren Kindern die Ohren lang. Das Auf-dem-Schoß-Sitzen erinnert an einen Blowjob, die Wiege lässt sich über eine Kordelmechanik ganz anonym aus dem nächsten Zimmer bedienen. Auch die Kinder sind kaum besser und zerren an den nackten Brüsten der Mutter. Familienkuscheln auf der Kippe zur Gewaltorgie? Super-Nanny, bitte übernehen Sie!
Heute jedoch nicht, bis 14. Dez., Di.–Fr. 13–19, Sa. 12–16 Uhr, Sorauerstr. 3
Michael Kalmbach, bis 22. Dez., Di.–Sa. 11–18 Uhr, Tucholskystr. 35
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