: Ran an die Reform!
OLYMPIA-DEBATTE (4) Die Spiele müssen sich dringend an Vorgaben des Good Governance orientieren
VON JÜRGEN MITTAG
Sport ist ein globales Massenphänomen, das im Alltagsleben zahlreicher Menschen einen festen Platz einnimmt. Sport dient nicht nur der individuellen körperlichen Fitness oder dem kollektiven Kräftemessen, sondern er stellt angesichts seines beträchtlichen Mobilisierungspotenzials auch einen wichtigen Bestandteil gesellschaftlicher Kommunikation dar.
Fanden Olympische Spiele bis in die 90er Jahre im Wesentlichen in den etablierten OECD-Staaten statt, so deutet die Vergabe von Olympia oder auch Fußballweltmeisterschaften nach China, Russland, Katar und Brasilien darauf hin, dass sich zuletzt wirtschaftlich prosperierende Schwellenländer mit bisweilen autoritären Strukturen um Sportgroßveranstaltungen beworben und diese – als Wachstumsmärkte des Sports – auch bekommen haben. Das olympische Motto „Schneller, höher, stärker“ ist von der Trias „Größer, aufwändiger, spektakulärer“ abgelöst worden. Die bereits unter Juan Samaranch eingeleitete Kommerzialisierung der Spiele fand ihren Ausdruck in mehr Wettbewerben, mehr Athleten, mehr TV-Berichterstattung – und: mehr Einnahmen.
Mit der Vergabe von Sportgroßveranstaltungen an die sogenannten Brics-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) – bei gleichzeitiger Ausweitung der globalen Kommunikationsstrukturen – ist es zu Protesten gegen Fehlentwicklungen kommen. Sportgroßveranstaltungen boten denjenigen eine Plattform, die unter sozialen Nachteilen, einer Missachtung elementarer Menschenrechte und der Vernachlässigung ökologischer Kriterien litten. Im Vorfeld der Spiele, wenn der Blick der Medien bereits auf das austragende Land gerichtet ist, war damit ein Resonanzboden für Proteste vorhanden.
Sportbezogene Proteste
IOC und Fifa haben lange Zeit ihre Augen sowohl vor den Fehlentwicklungen als auch den Protesten verschlossen und sich auf die vermeintlich unpolitische Dimension der Spiele sowie die Verantwortung der Ausrichterstaaten berufen. Angesichts des Umstandes, dass sportbezogene Proteste aber zu einem festen Bestandteil von Sportgroßereignissen geworden sind und die Integrität des Sports von immer mehr Menschen infrage gestellt wird, zeichnet sich eine Tendenzwende ab. Sowohl Sportorganisationen als auch Regierungen erkennen die Notwendigkeit, sozialen, humanitären und ökologischen Kriterien bei der Vergabe von Großereignissen Rechnung zu tragen. Gleichermaßen hat man realisiert, dass es gilt, die Menschen vor Ort einzubeziehen. Damit rücken einerseits die Kriterien des Good Governance ins Blickfeld. Gerade für Verbände und Sportorganisationen, die das in Demokratien etablierte Zusammenspiel von Regierung und Opposition beziehungsweise von Entscheidung und Kontrolle nicht kennen und die oft hinter verschlossenen Türen agieren, ist es notwendig, einen Minimalkatalog an Kriterien guten Regierens zu verfolgen, der auch ein stärkeres Maß an Transparenz nach sich zieht.
Gegen Gigantismus
Darüber hinaus besinnt man sich aber in zunehmendem Maße auch auf die (olympischen) Werte. Damit rückt die Olympische Charta mit ihren Regeln und Vorgaben, aber auch mit ihren Werten und Leitbildern wieder ins Blickfeld. Statt vorwiegend der Gewinnmaximierung und dem Gigantismus zu huldigen, sehen etwa die von IOC-Chef Thomas Bach inspirierten Empfehlungen der Olympischen Agenda 2020 ein Reformpaket vor, bei dem vor allem dem Bewerberverfahren, der Transparenz und den Werten stärkere Beachtung gewidmet wird.
Es bleibt abzuwarten, ob die damit geweckten Erwartungen an eine stärker wertbezogene Sportpolitik realisiert werden. Gegenwärtig scheint es im Rahmen der olympischen Bewegung zumindest eine starke Tendenz zu geben, die Integrität des Sports neu zu gestalten und reale Reformen einzuleiten. Der Tiefpunkt der Olympischen Winterspiele von Salt Lake City 2002 mit ihrem massiven Korruptionsskandal hat sicher dazu beigetragen, die Reformbereitschaft zu stärken. Währenddessen haben der internationale Fußball und namentlich die Fifa noch einen langen Weg vor sich. Spätestens die Wahl des Fifa-Präsidenten im Mai 2015 wird zeigen, welchen Stellenwert die auch hier rhetorisch beschworene Zielsetzung des Good Governance und der Werteorientierung im organisierten Sport künftig haben wird.
■ Jürgen Mittag ist Professor für Sportpolitik an der Deutschen Sporthochschule Köln
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