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Der Erschrecker

GEISTERBAHN Nach Feierabend spielt Mathias Arp auf dem Hamburger Dom einen toten Holzfäller. Sein Ziel: der bestmögliche Schreck. Für die ganz schwierigen Fälle hat er eine Motorsäge

VON DANIEL KUMMETZ

Die zwei jungen Frauen ahnen, dass Mathias Arp ihnen auflauern wird, sie haben ihn vorher gesehen. Doch von seiner Motorsäge wussten sie nichts. Als sie mit dem Wagen ins Freie fahren, riechen sie zuerst die Abgase und hören den Motor knattern, dann sehen sie, wie er die Kettensäge auf ihre Köpfe zu schwingt. Sie reißen die Augen auf, rutschen etwas auf den Sitzen nach vorn und kreischen. Eine der Frauen umklammert mit einer Hand ihr großes, rotes Kellnerportemonnaie und hält es vor ihre Brust, als könnte sie damit Angreifer von vorn abwehren.

Mathias Arp arbeitet als Erschrecker im „Geisterhotel“ auf dem Dom, dem großen Hamburger Jahrmarkt, viele Jahre hieß die Bahn „Geister Tempel“. Arp stellt den Geist eines seit 73 Jahren toten Holzfällers dar, seine Figur nennt er „Wood Shock“: Das Gesicht ist weiß geschminkt, die Augenringe dehnen sich über die ganzen Augenhöhlen aus, sie sind blauviolett. Arp hat sich große blutende Wunden aufs Gesicht gemalt. Am Körper trägt er ein aufgerissenes Holzfällerhemd, darunter ein weißes, blutiges T-Shirt. Am Hemd hängen acht Seilenden, die an herausquellende Gedärme erinnern sollen. Am linken Knie sitzt ein blutiger Verband. Einige Zähne sind schwarz.

Seit neun Jahren erschreckt Mathias Arp die Fahrgäste der Geisterbahn. Es ist ein Hobby, die Schaustellerfamilie zahlt ihm nur die Kosten für Schminke, Verkleidung und Fahrt. An diesem Freitag ist er aus seinem Büro gleich zum Dom gefahren – er entwickelt Software für Windanlagen. „Ich mache das als Ausgleich für die Schreibtischarbeit“, sagt er. Er könne so den Frust der Woche verarbeiten.

Rund 30 Angstmacher teilen sich die Schichten im „Geisterhotel“ während der drei Dom-Monate in Hamburg, sie haben sich im „Screamteam“ zusammengeschlossen. Die Erschrecker sind nur an den Abenden zum Wochenende auf dem großen Jahrmarkt. Werktags ist zu wenig los, nachmittags fahren Kinder – für die sind die Skelette, Alienköpfe und offenen Särge schrecklich genug.

Doch jetzt ist Freitagabend, und Mathias Arp steht leicht gebückt, mit hochgeklappter Schirmmütze in einem Zelttunnel der Geisterbahn und lauscht. In der rechten Hand hält er sein blutbespritztes Spielschwert. Mit seiner Linken umfasst er eine abgehackte Hand aus Plastik. Es ist das vierte Exemplar, das er für seine Einsätze braucht. Arp nennt die Hand Susi IV.

Der tote Holzfäller wartet auf den nächsten Wagen. Er hört das Klackern, wenn die Gondeln über die kleinen Lücken zwischen den Schienen fahren. Eine Schreck-Sirene heult. Und dann kommt sein Zeichen: Ein Wagen kracht gegen zwei Türen. Seinen nächsten Gäste werden in ein paar Sekunden da sein. Aus dem toten Winkel hält er das Schwert unter ihre Nase, sie schrecken zurück. „Oh, zwei neue Freiwillige“, sagt Arp mit verstellter tiefer Stimme und geht gebückt und unbemerkt hinter dem Wagen her. Der Angstmacher hockt ein paar Meter weiter von hinten auf ihre Gondel auf und schiebt sein Gesicht zwischen die beiden. Er fuchtelt mit dem Schwert herum. Der zweite geglückte Schreck.

Auf dem Rückweg zu seinem Hinterhalt guckt er zu den Gästen, die jetzt die Rampe hinauffahren – und bald bei ihm sein werden. Jetzt entscheidet Arp, wie stark der Schreck sein wird. „Mädels im Alter zwischen 12 und 18 Jahren erschrecken sich immer“, sagt Arp. „Für die ganz harte Fälle habe ich die Kettensäge.“ Wenn es sehr voll ist, kommen die Wagen im 15-Sekunden-Takt vorbei. Heute sind sie etwas seltener.

Wenn keine Wagen kommen, spielt Mathias Arp mit dem Publikum vor der Bahn. Einige bleiben stehen, wenn er auf den Balkonen und Brücken umhertrottet. Er guckt eine Jahrmarkt-Besucherin an und winkt sie mit einem Schwert heran – eine halb drohende, halb einladende Geste.

„Die meisten erkennen einen nicht wieder, wenn man ihnen ungeschminkt begegnet“, sagt Arp. „Ich glaube, manche Frauen würden mich dann gar nicht beachten.“ Schminke im Gesicht mache wohl interessant.

Gegen Mitternacht steht Arp in einem Wohnwagen hinter der Bahn, seine fünfstündige Schicht ist vorbei. Hier hat er sein Schminkzeug und Verkleidung in großen Koffern und Kiste aufbewahrt. Die Latexmilch steht noch draußen, in einer Mezzo-Mix-Flasche schwimmt Kunstblut, daneben liegt eine Haargel-Dose mit einer zähen Maße an Krustenblut – mit ihm kann er Wunden modellieren.

Arp zieht sein Holzfällerhemd mit den Seilen aus, greift sich den Waschlappen und geht zum Spiegel. Er zieht die Latexmilchhaut von seiner rechten Wange ab und reibt mit dem Waschlappen immer wieder über sein Gesicht. Der blaue Lappen bekommt weiße und rote Flecken. Mit den Fingernägeln versucht Arp den schwarzen Zahnlack abzukratzen.

Dann steigt er in sein Alltagsdress: ein grünblaues Karohemd und eine Jeans. Bevor er verschwindet, holt er seine Motorsäge in den Wohnwagen und packt sie in eine Plastikfolie. Er wird sie am nächsten Tag brauchen.

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