STADTGESPRÄCH: Überfall aus dem Mittelalter
EIN PROMINENTES MITGLIED DER JÜDISCHEN GEMEINDE ENTGEHT KNAPP EINEM BRUTALEN ANSCHLAG
Eigentlich wollte er im Wiener Café im Zentrum von Sarajevo nur mit einem Bekannten aus den USA plaudern. Elijas Eli Tauber hatte sich gerade einen neuen Kaffee bestellt. War es eine „Melange“, ein bjiela kafa (Milchkaffee) oder ein ordinärer „Macchiato“? Der Kellner kann sich nicht mehr erinnern. Denn was dann geschah, verlangte seine volle Aufmerksamkeit.
Im Rücken von Tauber, der in Sarajevo bekannt ist als jüdischer Schriftsteller und Berater der bosnischen Regierung, tauchte plötzlich ein Mann auf. In der Hand schwang er eine Art Morgenstern. Die an einer Kette angebrachte Metallkugel ist eine tödliche Waffe aus dem Mittelalter. Wer die mit Schwung an den Kopf geschlagen bekommt, ist auf der Stelle tot. Doch der Angreifer verfehlte sein Ziel, auch der zweite Schlag ging fehl. Eli Tauber gelang es, der Kugel auszuweichen, sie streifte nur seine Wange. Der Angreifer flüchtete.
Der Vorfall am Samstag voriger Woche erregte sofort großes Aufsehen. Ein bekannter Jude wird in der muslimisch dominierten bosnischen Hauptstadt angegriffen – war das etwa ein Werk der auch in Bosnien aktiver werdenden Salafisten? Ein antisemitischer Akt?
Die Sarajevoer sind stolz auf ihre noch 800 Seelen umfassende jüdische Gemeinde. Vor dem Zweiten Weltkrieg und dem Einmarsch der Nazis war die jüdische Gemeinde mit damals 12.000 Mitgliedern zahlenmäßig etwa gleich stark wie die der muslimischen Bosniaken, der orthodoxen Serben und der katholischen Kroaten. Die im 15. und 16. Jahrhundert aus Spanien vertriebenen sephardischen Juden und die mit den Österreichern Ende des 19. Jahrhunderts nach Bosnien gekommenen Aschkenasim prägten das Wirtschafts- und Kulturleben. Mehr als 70 Prozent der Sarajevoer Juden überlebten die Naziherrschaft nicht, den anderen gelang die Flucht in die italienisch besetzte Zone des Balkan. Erst nach dem Weltkrieg begann sich die Gemeinde wieder langsam zu erholen, 1990 waren es wieder 3.000. Während der Belagerung Sarajevos durch serbische Truppen 1992 bis 1995 gingen die meisten Juden der Stadt aber nach Israel. Doch gerade jene, die dem Artilleriefeuer widerstanden und das Los der belagerten Bevölkerung teilten, genießen seither hohes Ansehen.
Sarajevo ist die einzige Hauptstadt in Europa, in der die Gebäude der jüdischen Gemeinde heute nicht von Polizei geschützt werden müssen. Ändert sich das jetzt? Wird jetzt ein muslimischer Antisemitismus sichtbar?
Eli Tauber glättete nach dem Angriff die Wogen. Er sei in Sarajevo zuvor noch nie bedroht worden, erklärte er, und er habe gute Beziehungen zu seinen Nachbarn. Er kenne den Angreifer nicht, er könne über die Hintergründe nichts sagen.
Zunächst tappte die Kantonspolizei im Dunkeln. Doch es gelang ihr nach ein paar Tagen, den Mann zu fassen. Der 1967 geborene Ahmed Focak war der Polizei bekannt. Er hatte vorher schon vier andere Menschen tätlich angegriffen und stammt offenbar aus dem kriminellen Milieu.
Die Polizei schloss in ihrer Tatversion einen politisch-religiösen Hintergrund aus. Es handle sich um Streitigkeiten über die Besitzrechte an einer Wohnung, erklärte ein Polizeisprecher. Doch die Gerüchte wollten nicht verstummen. Und sie erhielten Nahrung durch den Angegriffenen selbst.
Auf einer Pressekonferenz am Mittwoch dankte Eli Tauber der Polizei. Er betonte aber auch, er habe keinerlei Beziehungen zu dem Mann und wisse nichts von Streitigkeiten über Wohnungseigentum. „Ich denke, dass die Person, die mich angegriffen hat, nur der Ausführer eines Plans ist, der von anderen Personen ausgeheckt wurde“, sagte er.
„Wir hier in Sarajevo sind jetzt so tief gesunken, dass ein Krimineller mit einer mittelalterlichen Waffe dazu benutzt wird, unseren Eli Tauber anzugreifen,“ sagt der ehemalige Deutschlehrer und Exkommunist Mehmed Alicehajic. „In dieser Stadt geben zunehmend dunkle und im Untergrund wirkende Gestalten den Ton an. Es müsste jetzt eigentlich einen Aufschrei aller Bürger geben.“
ERICH RATHFELDER
AUS SARAJEVO
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