piwik no script img

Sozialdemokraten im Dauerkrieg

SPIELEN UND LESEN Im neuen PC- und Tablet-Spiel „Starship“ ist es ganz schön mühevoll, Dominanz im All zu erringen. Welchen Sinn das alles ergeben könnte, ist bei dem marxistischen Historiker Eric Hobsbawm nachzulesen

Spielen und lesen

■ Die Idee: Ein neues digitales Spiel und mal ältere, mal neuere Philosophie/politische Theorie kombinieren.

■ Das Spiel: Sid Meier’s Starships. 2K Games. Für PC, Mac und Tablet.

■ Die Theorie: Eric Hobsbawm: „Wie man die Welt verändert. Über Marx und den Marxismus“. dtv, München 2012, 448 Seiten

VON MAIK SÖHLER

Dominanz bedeutet 51 Prozent. Wer im neuen digitalen Spiel „Starships“, entwickelt von den Machern der „Civilization“-Spielereihe, zuerst 51 Prozent des verfügbaren Raums im All dominiert, gewinnt das Spiel. 51 Prozent – das ist interessant. Es geht nicht um die totale Kontrolle von Territorien, wie sie Diktatoren oft anstreben. 51 Prozent klingt mehr nach Marktanteilen, nach Unternehmen, die um Warenabsatz konkurrieren.

In „Starships“ startet man mit einem Heimatplaneten, von dem aus eine Raumflotte aufbricht, um anfangs benachbarte, später auch weit entfernte Planeten zu erobern. Dafür müssen Aufgaben gelöst werden, sei es, ein Raumflottengefecht zu gewinnen, sei es, unter Beschuss Siedler von Ort X nach Ort Y zu bringen. Wenn Aufträge erfolgreich erledigt werden, wächst der Einfluss im entsprechenden Teil des Alls; Planeten, Bewohner und Ressourcen werden dem eigenen Reich hinzugefügt.

Andere Spieler machen dasselbe, und eine kleine Anzeige weist stets aus, wer gerade wie viel des Weltraums dominiert. Auch Verwaltungsaufgaben fallen an: Planeten sollen ausgebaut und weiterentwickelt, die Sternenflotte muss modernisiert und die Bevölkerung will zufrieden gestellt werden.

Spätestens ab 25 Prozent Dominanz tritt das Spiel in die nächste Phase ein und zur Erledigung der Aufträge gesellt sich ein munterer Krieg mit der Konkurrenz, der nur selten endet, bevor ein Spieler jene 51 Prozent Einfluss erreicht hat, die zum Sieg führen.

Staat trifft Kapitalismus

Marktanteile, Konkurrenzbeobachtung und ein Auftragsbuch, das abgearbeitet werden will – man sieht, der Kapitalismus ist schon im All angekommen, bevor das erste Raumschiff startet. Dominanz beziehungsweise Einflussnahme, Verwaltung und Krieg – man begreift, dass der Nationalstaat, der sich im Spiel als Reich, Empire oder Dominion ausgibt und doch nur ein plumper Nationalstaat mit oder ohne Staatenbündnis ist, dem Spieler stets einen Schritt voraus ist.

Wo Kapitalismus und Nationalstaat aufeinandertreffen, sind wir im Spiel und in der politischen Gegenwart zugleich. In der Realität haben sich kapitalistische und nationalstaatliche Interessen bis zur Unkenntlichkeit überlagert und vermischt. In „Starships“ ist es genauso. Ein genauerer Blick ins Spiel könnte lohnen, um zu erkennen, was wo wann und wie gemeinsam auftritt und was sich trennen lässt zum Zweck analytischer Kritik, einer Voraussetzung für praktische Kritik.

Hier kommt der britische Marxist und Historiker Eric Hobsbawm ins Spiel. Hobsbawms Gesamtwerk ist geprägt von einem spezifischen Ansatz, der das Wirken der Arbeiterbewegung und der sozialistischen Staaten im Weltganzen untersucht. Hobsbawm trat lange als solider Historiker in Erscheinung, geschichtsphilosophische Ausführungen waren selten – bis 2011, ein Jahr vor seinem Tod, sein Buch „How to Change the World: Tales of Marx and Marxism“ erschien.

Hobsbawm wendet sich darin dem Frühwerk von Karl Marx und Friedrich Engels zu, um näher zu bestimmen, wie die Arbeiterbewegung die Welt in den vergangenen 150 Jahren beeinflusst hat und was heute von ihr übrig ist. Damit landet er ganz nebenbei auch in „Starships“.

„Verwaltung von Dingen“

Denn auf den ersten Blick scheint dort, wie so oft in Spielen von Gamedesigner Sid Meier, ein Satz von Marx und Engels zur spielerischen Realität geworden zu sein: Die „Verwaltung von Dingen“ tritt zeitweise an die Stelle der „Regierung über Menschen“. Der Spieler verteilt Ressourcen wie Geld, Energie, Material, Wissen und Kultur auf Städte, Regionen, Planeten. Auch Arbeit ist nur eine Ressource, die verwaltet wird.

Engels hingegen bezog sich mit diesem Satz auf Henri de Saint-Simon und schloss, dass nach dem Ende der „Regierung über Menschen“ auch die Politik in der Ökonomie aufgehen könne, was wiederum die Abschaffung des Staates möglich mache. Arbeit ist dabei keine Ressource, sondern die Grundlage eines Selbstverständnisses, das zur Veränderung drängt: „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbst gewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen“ (Karl Marx).

Die überlieferten Umstände in „Starships“ drängen auf Expansion, auf die Veränderung von Besitz- und Machtverhältnissen im All. Ein Auftrag wird abgearbeitet, die Hegemonie im Raum wird größer.

Eric Hobsbawm wendet sich von Marx und Engels ab und dem italienischen Kommunisten Antonio Gramsci zu: „Gramscis Hauptbeitrag zum Marxismus“ bestehe darin, „als einer der Ersten eine marxistische Theorie der Politik vorgelegt zu haben.“

Marx und Engels seien ohne eine Theorie der Politik ausgekommen, sie zeigten, dass „Rechtsverhältnisse wie Staatsformen weder aus sich selbst zu begreifen sind noch aus der sogenannten allgemeinen Entwicklung des menschlichen Geistes, sondern vielmehr in den materiellen Lebensverhältnissen wurzeln“. Die materiellen Lebensverhältnisse und damit auch die „Rechtsverhältnisse wie Staatsformen“ in „Starships“ wandeln sich rasch. Was eben noch klein und eigenständig war, wird von einem der wachsenden Spielerreiche geschluckt.

Der „Starships“-Spieler schlüpft in die Rolle des Staates und landet in der politischen Gegenwart von 2015

„Neu bei Gramsi ist die Beobachtung, dass auch die […] Hegemonie nicht automatisch gegeben ist, sondern durch bewusstes politisches Handeln und politische Organisation erlangt wird“, analysiert Hobsbawm. Spätestens hier zeigt sich, dass die „Verwaltung von Dingen“ in den Spielen von Sid Meier tatsächlich nur auf den ersten Blick existiert. Von der Konkurrenz getrieben, wird die „Verwaltung von Dingen“ rasch dem Interesse unterworfen, das eigene Einflussgebiet zu vergrößern und sich dabei so zu organisieren, dass dieses politische Ziel erreicht werden kann.

Verkümmerte Gegensätze

Marx und Engels, meint Hobsbawm, „kritisierten durchweg die Auffassung, der Staat stehe über den Klassen, vertrete das gemeinsame Interesse der gesamten Gesellschaft […] oder sei den Klassen gegenüber neutral.“ Der Spieler in „Starships“ schlüpft in die Rolle des Staates und landet gleichzeitig in der politischen Gegenwart des Jahres 2015. Der Klassenantagonismus existiert nur noch in verkümmerter Form.

Hobsbawm resümiert: „In den reichen Ländern des alten Kapitalismus gibt es die Arbeiterbewegungen noch immer, wobei sie ihre Stärke jedoch aus dem öffentlichen Dienst beziehen.“

So gesehen ist es egal, welche „Affinität“ in „Starships“ gewählt wird, bevor das Spiel startet. Egal ob „Reinheit“, „Vorherrschaft“ oder „Harmonie“ – alle drei „Affinitäten“ wurden aus Meiers früherer Schöpfung, „Civilization: Beyond Earth“, übernommen –, im Grunde agiert der Spieler als staatlicher Herrscher und sozialdemokratischer Beamter zugleich. Er hat die 51 Prozent zu erreichen und dabei in den Worten Hobsbawms, „das Sozialprodukt unter der Bevölkerung zu verteilen, und zwar unter menschlichen Bedingungen, und diejenigen Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, die vom Markt nicht zu erfüllen sind.“

Wo aber der zum Spieler gewordene öffentliche Dienst sein Ziel ohne Laserkanonen, Alltorpedos und Stealth-Technologien nicht erreichen wird, bleibt „die Politik eine notwendige Dimension des Kampfes um gesellschaftliche Verbesserungen“ (Hobsbawm). Oder anders gesagt: „Starships“ ist ein kurzweiliges Spielchen, das Zeit zum Lesen lässt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen