KUNSTRUNDGANG: Andrea Edlinger schaut sich in den Galerien von Berlin um
Frotteehandtücher haben es Paul Lee angetan. Mal integriert sie der in New York lebende Brite in seine Skulpturen, mal zerschneidet er sie und hängt sie als Bilder an die Wand. Die Stoffe sind zerschlissen und dreckig. Und so hat der Ausstellungsraum von Peres Projects, die Lees Werke zeigen, etwas vom Versteck eines genialen Obdachlosen, der für jeden noch so verbrauchten Gegenstand eine neue Funktion erfindet. Nur vom feuchten Modergeruch ist nichts zu spüren im steril weiß getünchten Galerieraum. Dabei geht Paul Lee mit seinen Arbeiten dem menschlichen Lebensraum an die Substanz: Seine Handtücher umhüllen Steine und Sockel wie eine Haut, und Lees Steine wiederum sind Abgüsse ein und derselben Form und so identisch wie Atome. Der britische Künstler betrachtet die condition humaine zum Glück aber mit Humor. Wie das Gummiband einer Steinschleuder ist ein gelbes Stoffband um einen Stein geschlungen, das andere Ende der Schlaufe in die Ecke des Raumes gepinnt: Hält die Schlinge nun den Stein im Raum fest, oder gibt der Stein dem Stoffband Halt?
Lynne Cohen hingegen begnügt sich mit dem, was sie vorfindet: Absurd entstellte Interieurs. Zerschossene, bunte Schaufensterpuppen im videoüberwachten Raum, eine knallgelb gekachelte Wand mit Umrissen von Atom-U-Booten, der beige Ledersessel im hässlichen Wandverbau – das sind Motive ihrer neuen Fotoarbeiten, die jetzt in der Galerie Wilma Tolksdorf zu sehen sind. Mit dem grellen, künstlichen Licht und den surrealen Farben erinnern die Räume an Schauplätze eines David-Lynch-Films. Doch Cohens Bezüge sind real, nicht fiktiv: Zuletzt fotografierte die 63-Jährige an für die Öffentlichkeit unzugänglichen Orten wie in kanadischen und amerikanischen Polizeischulen und auf einem Militärgelände in Frankreich. Paul Lee: „Harbour“. Bis 19. Januar, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Peres Projects, Schlesische Str. 26 Lynne Cohen: „Clear Arrangements“. Bis 26. Januar, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Galerie Wilma Tolksdorf, Zimmerstr. 88–91
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