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nebensachen aus amsterdamMit künstlichen Inseln gegen die Wohnungsnot

Jan hat ein Problem. Er will umziehen. Doch das Geld, das er braucht, um als „Starter“ einzusteigen und die aufgeblähten Immobilienpreise zu bezahlen, hat er nicht. Deshalb loggte sich Jan vor knapp zwei Jahren auf einer Internetplattform ein. Dort werden Wohnungen und Häuser im Osten der Niederlande, im Raum Nijmegen, zur Miete angeboten, die bezahlbaren der öffentlichen Träger. Den Zuschlag für eine Wohnung oder ein Haus erhält, wer am längsten in seiner jetzigen Behausung gesessen hat oder in Not ist. Jan ist nicht in Not, und er ist in der Warteschleife aufgerückt von den Plätzen 299, 106 über 81 auf Platz 11. Das war die Krönung in den Sommerferien, als deutlich weniger Bewerber an den Start gingen. Derzeit liegt er wieder zwischen den Nummern 17 bis 36.

So mancher Niederländer würde sich gern verändern und kommt nicht voran. Der Wohnungsmarkt ist blockiert, die Wohnungsnot chronisch, die Immobilienpreise sind bizarr. 30 Monate auf eine günstige Mietwohnung zu warten, ist normal, in Amsterdam-Zentrum kann das 14 Jahre vom Moment der Registrierung an dauern. Wer auf dem privaten Markt sucht, zahlt für 70 bis 80 Quadratmeter etwa 1.200 Euro Miete. Besonders in der Randstad, dem Ballungsgebiet Amsterdam, Utrecht, Rotterdam mit seinen 10 Millionen Einwohnern, kann sich glücklich schätzen, wer wohnt, wie und wo er will.

Freude an diesen Verhältnissen haben die Immobilienbesitzer, immerhin gut 50 Prozent der Niederländer, solange das Ganze nicht einbricht, denn viele wohnen auf Kredit. Die Immobilienpreise haben sich seit 1991 mehr als verdreifacht. Um der Wohnungsnot beizukommen, wird gebaut, aber nicht ausreichend.

Der Boden ist teuer und knapp in diesem kleinen Land. Weite Flächen sind bereits zugepflastert mit Neubausiedlungen bis zum Horizont, mit Büros und Infrastruktur. Die Wirtschaft boomt. Um Land zu gewinnen und die Randstad zu entlasten, grub die Regierung in diesen Tagen eine alte Idee wieder aus. Man möchte in der Nordsee poldern, eine künstliche Insel vor Nordholland ins Wasser setzen, als Küstenschutz und Ausleger. Und weil die Klimaveränderung teurere Maßnahmen zum Schutz der Niederlande ohnehin erzwingt, werden die kostspieligen Varianten einer Landgewinnung im offenen Meer interessanter, berichten die Medien. Neue Natur und Erholungsraum und, groß gedacht, vielleicht die künstliche Insel bebauen, das würde den dicht besiedelten Westen ein wenig entlasten.

Jan, der am anderen Ende des Landes lebt, wird das Problem aussitzen – die Zeit arbeitet für ihn und Tag X kommt. Wim, Jans Freund, hat allein bei dem Gedanken an Warteschleifen, überzogene Mieten und Mangelware die Flucht nach vorn ergriffen und ist, wie viele Landsleute vor ihm, gleich hinter der Grenze suchen gegangen. Er lebt nun in einer niederländischen Kolonie bei Kleve, einem der vielen Ausleger östlich des Landes.

GUNDA SCHWANTJE

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