: Die Pornojäger
Zwei Brüder treten gegen die deutschen Bischöfe an. Nicht weil sie Ungläubige wären. Nein, sie sind fromm, haben selbst einen Verlag und wollen nicht dulden, dass die Kirche Geschäfte mit Sex macht – mit dem katholischen Weltbildverlag. Nun haben die Bischöfe beschlossen, sich von dem sehr weltlichen Unternehmen zu trennen. Und daran sind die katholischen Rebellen aus dem Allgäu nicht unschuldig
von Susanne Stiefel
Im Verlagshaus gegenüber der Kirche knallten keine Korken. Bernhard Müller ist auch nicht in lautes Siegesgeschrei ausgebrochen, als sein jahrelanger Kampf gegen den Weltbildverlag nun erfolgreich war. Eitelkeit und Stolz gehören schließlich zu den schweren Sünden, das weiß hier im Allgäu jeder, und so bleibt der umtriebige Glaubenskämpfer ein leiser Sieger. „Damit habe ich nicht gerechnet“, sagt der 50-Jährige und guckt bescheiden, „und ganz sicher nicht so schnell.“ Aber das ist nur die halbe Wahrheit.
Denn dieser kleine, zähe Mann mit dem weich rollenden R der Allgäuer weiß, wie das Geschäft funktioniert. Als der Branchendienst „Buchreport“ vor wenigen Wochen die Pornoaktivitäten des katholischen Weltbildverlags in einer kleinen Meldung aufgriff, sah der Journalist und Verleger seine Chance. Er beschloss, die Machenschaften der Bischöfe einmal mehr in seiner Abonnentenzeitung Pur-Magazin zu geißeln. Und weil sein Dossier ordentlich Leser finden sollte, lancierte er den Artikel auf Welt online und gab ihm den Titel „Bischöfe als Pornoproduzenten?“ Der Mann weiß, was zieht.
In weniger als zwei Stunden hatte die Online-Bischofsschelte 12.000 Empfehlungen auf Facebook. „Der Pornovorwurf war für mich der Flaschenöffner“, sagt Bernhard Müller, der den Geist aus der Flasche ließ, „man kann nicht Keuschheit predigen und Pornos verkaufen.“ Erotik und Esoterik – die katholische Kirche, so seine Meinung, steckte in der Weltbild-Falle. Insofern verstehen sich die Müller-Brüder in aller Bescheidenheit als Befreier. Und dass der Papst, ein guter Bekannter aus alten Zeiten, die Immenrieder Offensive unterstützte, war sicher nicht hinderlich.
Nun guckt nicht nur die katholische Welt auf den 700-Einwohner-Ort bei Kißlegg. RTL war schon da mit einem Fernsehteam, um die Zwillingsrebellen in ihrem Verlag zu filmen. Radio Vatikan hat ein öffentlich-donnerndes „Journalisten, schämt euch“ an die Adresse der Nestbeschmutzer ins Allgäu geschickt, und die deutschen Bischöfe hüllen sich in beredtes Schweigen.
Die Müllers lassen sich davon nicht beirren. Sie sind schon immer ihren Weg gegangen, und der heißt: das C ernst nehmen. Große Gegner haben die zwei kleinen Brüder dabei nie geschreckt. Wenn es sein muss, legen sie sich auf diesem Weg mit ihrer Kirche an, mit der CDU oder mit der regionalen Monopolpresse, die sich selbst christlich nennt, aber selten danach handelt. „Es ist nicht die Lust an der Anklage, die mich antreibt“, sagt Bernhard Müller, „sondern schmerzliche Gewissensnot.“ Geduldig sitzt er im Besprechungszimmer des Verlags, schlichter Pulli, blaue Jeans, hinter ihm ragt eine Madonnenstatue aus dem portugiesischen Wallfahrtsort Fatima auf. Dieser Mann ist keiner, der sich gerne reden hört. Die Aufmerksamkeit, die er als Person erregt hat, ist ihm eher unangenehm. Stockend und zögerlich erzählt er, dass er sich nicht als Pornojäger verstehe, sondern gegen Doppelmoral vorgehen wolle. Dass er, der konservative Kirchenkritiker, längst in der Schublade der „Dunkelkatholiken“ stecke. Dass sein Fe-Verlag – Fe wie Glauben auf Spanisch –, zum Glück unabhängig sei, finanziell weder von den deutschen Bischöfen noch vom Vatikan unterstützt werde. Darauf ist er so stolz, wie man als überzeugter Christ stolz sein darf. Bernhard Müller zuckt die Schultern, lacht verlegen wie ein Schulbub. Die Entstehung seines Medienverlags klingt wie eine Tellerwäscher-Geschichte. Sie begann im Pfarrhaus von Immenried.
Immer über den Allgäuer Tellerrand geschaut
Dort stand der Matrizendrucker, auf der die Müller-Zwillinge, gerade mal 14 Jahre alt, ihre Flugblätter abzogen. Über den Wallfahrtsort Fatima in Portugal. Über Christenverfolgung. Und sie sammelten Unterschriften für die Freilassung des vietnamesischen Erzbischofs, den die Vietcong 1979 ins Umerziehungslager gesteckt hatten. Die Zwillinge haben mit dem Fahrrad die umliegenden Dörfer abgeklappert, Arnach, Eintürnen, Kißlegg; haben die Listen an Pfarrer verschickt und mit Kleinanzeigen im katholischen Sonntagsblatt für ihr Informationsmaterial geworben. Sie haben ein Rockkonzert organisiert, der Erlös kam der polnischen Solidarnosc zugute. Die Müllers haben Immenried nie verlassen, aber sie haben immer über den Allgäuer Tellerrand geschaut. Damals ist Bernhard Müller Mitglied der Gesellschaft für bedrohte Völker geworden. „Damals waren doch alle aktiv“, sagt er heute.
Aus der jugendlichen Euphorie entstand ein Verein, dessen größter Schatz das Engagement der zwei Brüder war und die Adressen, die sie im Laufe der Jahre sammelten. Sie haben gejobbt, als Mesner etwa, weil das Geld nie reichte. Bernhard Müller hat sich in Wochenendseminaren bei Guido Knopp (ZDF) mit dem Journalismus vertraut gemacht. Seit zehn Jahren erst gibt es den Fe-Verlag, der die Zeitschriften Pur-Magazin und Vatican-Magazin herausgibt, Devotionalien verkauft und Bücher produziert. Das Geld macht der Nischenverlag mit Büchern in kleiner Auflage für das gläubige Publikum. Nur wenn die Müllers mit Elisabeth von Thurn und Taxis eine Kolumnensammlung in Buchform pressen, mit einem Vorwort von Georg Ratzinger versehen, dann wissen sie: diesmal reichen nicht 2.000, in diesem Fall müssen es 15.000 sein. Namen verkaufen sich, das weiß auch Bernhard Müller.
Seit zehn Jahren erst können die Brüder von ihrem Engagement leben. Und inzwischen ist der Fe-Verlag mit seinen 20 Angestellten der größte Arbeitgeber in Immenried und Bernhard Müller sein Geschäftsführer. Unternehmer wollte er nie werden. Und so heißt der Trägerverein „Fatima-Aktion“, und der Chef bezieht das gleiche Gehalt wie die Putzfrau, der Einpacker oder die Grafikerin. „Das ist meine Unternehmensphilosophie“, sagt Bernhard Müller.
Theologisch ein Konservativer und politisch ein Linker? Wie geht das zusammen?
Oberschwaben und im Allgäu: Dort ist man katholisch, wählt CDU und hält es mit dem Spruch des Exlandrats Wilfried Steuer, den dieser in sein gestiftetes Kreuz schnitzen ließ: „Gläubig aufwärts, mutig vorwärts, dankbar rückwärts.“ Das steuersche „Heimlich seitwärts“, das natürlich nicht ins Kreuz geschnitzt, aber immer mitgedacht wird, ist nicht ihr Ding. Die Müllers wollen urchristliche Geradlinigkeit, Offenheit und Gerechtigkeit. Wie gesagt: das C nehmen sie ernst.
So sind sie erzogen. Die Mutter war gläubige Katholikin wie der Vater, ein Arbeiter, der nebenbei als Mesner gearbeitet hat. Außer der tiefen Gläubigkeit haben sie ihren Kindern den Kampf gegen totalitäre Systeme mitgegeben. Die Schwester der Mutter war behindert und wurde von den Nazis abgeholt und vergast. Das prägt. Die Müllers wollen nicht geschmeidig mitlaufen. Sie haben ihre Prinzipien, auch wenn sie es sich deshalb mit dem Mainstream verscherzen. Ein Mut, der aus dem Glauben, der Erziehung und dem Landstrich kommt.
Selbst ein Fürst kann die Brüder nicht stoppen
Deshalb haben sie auch mitgemischt, als sich die Immenrieder Liste (IL) bildete, um die Alleinherrschaft und Ignoranz der CDU zu brechen. Mit der SPD hätte das nicht funktioniert in einem Ort, in dem die CDU fast 90 Prozent der Stimmen auf sich vereint. Bernhard Müller kennt seine Immenrieder: „Die Leute wären eher aus der Kirche ausgetreten, als SPD zu wählen.“ Es war vor allem der CDU-Ton, der nicht mehr in die Zeit passte: von oben herab, als ob die Bürger Bittsteller seien. Dazu noch eine Art Familiendynastie, in der das Amt des Ortsvorstehers weitergegeben wurde, vom Großvater auf den Enkel. Mit der Immenrieder Liste ist der kleine Ort in der Demokratie angekommen. Inzwischen hat die IL die Mehrheit im Ortschaftsrat, und Zwillingsbruder Martin ist seit zwei Jahren Ortsvorsteher. Die Brüder trauen sich was.
Als die Schwäbische Zeitung, die sich als christlich versteht, einst vor Weihnachten einen verdienten Redakteur mit fünf Kindern vor die Tür setzte, hat Bernhard Müller die Demonstration angeführt. Die Schwäbische Zeitung aus Leutkirch Ist eine Nummer in der Gegend. Sie gehört dem Fürst Waldburg-Zeil, hat das C im Namen wie die CDU und wird, obwohl sie sich offiziell SZ abkürzt, von allen nur „Schwäz“ genannt. Und das nicht nur, damit es keine Verwechslungen mit der Süddeutschen gibt. Als Joachim Rogosch gekündigt wurde, weil er Missstände bei der Schwäz anprangerte, organisierte Bernhard Müller eine Demonstration vor dem Verlagsgebäude. Der Fürst, Geschäftsführer Kolb und Chefredakteur Umbach baten ihn am Vorabend der Demonstration zum Gespräch.
Bernhard Müller ahnte, dass er aufpassen musste. Er nahm seine Frau als Zeugin mit. Und siehe da: die Herrenrunde wollte ihn dazu bewegen, die Demo abzusagen. Er solle doch bedenken, dass er die gerade ausgehandelte Abfindung des gefeuerten Redakteurs gefährde und der habe schließlich fünf Kinder zu ernähren und ein Haus abzuzahlen. Bernhard Müller war empört. Und als er davon bei der Demo erzählte, bei der ein großes C aus Kerzen vor dem Verlagsgebäude leuchtete und Plakate verkündeten: „Euer C tut weh“, behauptete Chefredakteur Umbach schlankweg, das sei nie gesagt worden. „Das war das Übelste, was ich je erlebt habe“, sagt Bernhard Müller. In seinem eigenen Verlagshaus soll es anders zugehen.
Das ist inzwischen zum Dorftreff geworden. Das Café Fatima im Erdgeschoss ist die einzige Gaststätte am Ort. An diesem Tag spielen hier Kinder, während ihre Mütter unter dem Ölgemälde „Sonnenwunder von Fatima“ ihren Cappuccino trinken und Neuigkeiten austauschen. Zwei Tische weiter sitzen alte Männer, die wenig reden und zusammen ein Bier trinken. Wer eine Kopie braucht oder ein Buch lesen will, geht weiter nach hinten zu den Büros und fragt nach. Und so hat sich der Schwerpunkt in dem kleinen Ort von der Kirche gegenüber, hinter der auch Ortsverwaltung, Kindergarten und Schule zu finden sind, ein wenig mehr auf die andere Straßenseite verschoben. „Wir sind hier aufgewachsen“, sagt Bernhard Müller, „wir sind keine Fremdkörper.“
Und wie sehen seine Wünsche fürs neue Jahr aus? Dass der Weltbildverlag wirklich verkauft wird und die Bischöfe nicht wieder warten, bis Gras über die Sache gewachsen ist? „Nein“, sagt Bernhard Müller verlegen und denkt lange nach. „Es mag sich banal anhören“, sagt er, „aber Frieden auf der Welt ist mir schon wichtiger als das Weiterbestehen des Weltbildverlags.“
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