: DEM KURZFILM EIN BEINCHEN STELLEN
■ Zum Kurzfilmprogramm freitags im Capitol Dahlem
Das Motto der ganzen Veranstaltung „Wir machen dem Kurzfilm Beine“ klingt zwar etwas dicke nach fit für Olympia und Rehabilitation für Fußlahme, unbestreitbarer Fakt ist jedoch, daß der Kurzfilm in der hiesigen Filmverwurstungsindustrie allenfalls den Stellenwert einer zwangsweise geförderten Prothese besitzt. Wer sich also nachweislich um den Kurzfilm in irgendeiner Form verdient macht (Produktion, Vertrieb etc.), dem ist auf jeden Fall zunächst die öffentliche Gunst gewährt - wird sie ihm verweigert, so sind klaro die anderen Schuld, die zugebretterten Filmbanausen, die...
„Meidet den Tonfilm!“ warnt im Foyer des Capitol-Kinos freundlich ein Aufklärungsplakat der Vereinigten Kinoorchestren vor der Irreführung durch die Tonspur; nur Film mit live Orchesterbegleitung sind es wert, gesehen zu werden. Nach erfolgreich überstandener Absolvierung des Dahlemer Kurzfilmparcours bedarf es aber einer winzigkleinen Korrektur: „Meidet den Kurzfilm!“
Gerade mal zwei Filme in diesem Programm sind der Ansicht wert: in „Aelia“ verliebt sich eine Frau in eine Steinstatue, „natürlich“ männlichen Geschlechts, und bemüht sich durch Rubbeln und Grabschen an der leblosen Materie (an welcher Stelle wird nicht verraten), das Objekt ihrer Begierde zu Fleisch und Leidenschaft zu erwecken. Penetrant sein weicht den Stein, ein Männerarm gleitet um ihre Hüfte... Die Idee des französisch-Schweizers Dominique De Rivaz mag zwar nicht sonderlich originell sein, aber zumindest stimmt die Umsetzung fürs Auge und ein Hauch von Atmosphäre prickelt auf der Pupille. Quasi als Fortsetzung dieser obskuren Liaison mag man die „Baby-Story“ von Bruno Bruzetti auffassen, ein skurril gewitzter Zeichentrick über die möglichen Turbulenzen bei der Genese eines solchen Embryos, saftig gestrichen mit einigen pikanten Obszönitäten.
Damit hat sich's dann aber bereits totgelaufen, der verbleibende Rest an Filmen ist selbst durch gutgemeinte Arschtritte nicht mehr auf Trab zu bringen. Das Dilemma liegt an dem Starrsinn, mit dem sich Hobbyhandwerker als Filmemacher versuchen, zumal, wenn sie mit deutscher Dumpfheit beschlagen menschliche Beziehungskisten auf Leinwandformat zimmern. Ein parodistisch geplanter Besuch im „Beziehungsamt“ genügt als Bestätigung: stocksteif und nicht einmal schlecht genug, um darüber lachen zu können, wird da ein Antragsteller auf Beziehungshilfe vorgeführt, dem zur Bearbeitung gleich ein Beziehungshelfer zur Seite gestellt ist. Bei wiederholtem Versagen droht Beziehungslager mit der Zwangsehe als höchster Form der Bestrafung. Eine tolle Idee, die es wert ist, in der Schublade zu verstauben. Auch „Echt emanzipiert irgendwie“ krankt daran, daß außer den teilweise zynisch ätzenden Textstellem filmisch nichts rüberkommt: ein echt irgendwie scheiße aussehender Typ, Design akademischer Post-Öko-Hippie, sabbert am Telefon seinen Freund mit übelsten Chauvi-Fick-Stories voll; ein guter Beitrag für die Radio 100-Dissonanzen.
An Eberhard Weißbarths Filmverrenkungen gibt es hingegen nichts zu mäkeln; seine Filme taugen allerhöchstens dazu, im Rollstuhl auf die nächstbeste Müllkippe gekarrt zu werden. Da er zudem noch verantwortlich zeichnet für den Vertrieb dieses Programms, keimt schnell der Verdacht, daß hier gar nicht so uneigennützig wie gedacht Kurzfilme gepuscht werden. Zwar wird wohl kaum Geld eine Motivation sein, doch bleibt der Eindruck haften, daß er mittels Vertriebstricks seine filmischen Amputationen ins Kino hievt, die sonst keine Chance hätten.
Weißbarth ist ein echtes Sensibelchen mit perfekt geschultem Fernsehauge. Alles, was uns vor der Glotze in traumlosen Tiefschlaf versetzt, kopiert er mit geflissener Schülerhaftigkeit in seinen Kurzspielfilmen: mit plumpen Einstellungen, starrer Kameraführung, leblosen Schnitten und platten Dialogen walzt er ungeniert seine peinlichen Stories vom alltäglich Dämlichen breit. In „Augenblicke“ z.B. dreht sich alles um..., genau, erraten, und zwar zwischen zwei Männern, die sich auf dem Flughafen begegnen. Sie trauen sich nicht, Augenaufschlag, Augen senken - bitter ist das Leben, wenn sie nur den Mut gehabt hätten, vielleicht wären sie jetzt prima Freunde! Falls Weißbarth das aber als vorsichtig angedeutetes Schwulen-Coming-Out verstanden haben will, so kommt er nicht einmal mehr für die „Lindenstraße“ in Frage - Geissendörfer mixt da weitaus gekonnter die Klischees. Einer Prothese aber ein Beinchen stellen ist mehr als nur grobe Unsportlichkeit und wird bestraft mit Kinoverweis nicht unter lebenslang...
Andreas Döhler
„Wir machen dem Kurzfilm Beine“ - Capitol Dahlem, jeden Freitag um 22.45 Uhr
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