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Hauptsekretär Rolfinchen

■ Betrogener Betrüger: Vollstreckungsbeamter steckte aus „Liebe“ 148.000 Mark in die eigene Tasche: Frau weg, Job weg, 15 Monate auf Bewährung

Wer Steuern und Bußgelder nicht bezahlt, bekommt erst Mahnungen und irgendwann ungebeten Besuch: Der Vollstreckungsbeamte gibt sich die Ehre. Einer von Bremens 27 hauptamtlichen Vollstreckungs-Sekretären, Vollstreckungs -Obersekretären und Vollstreckungs-Hauptsekratären

ist Rolf-Werner S. oder, so müssen wir inzwischen sagen, war Rolf-Werner S. (36), dessen Geschichte wir hier erzählen wollen, und wir fügen ausdrücklich hinzu: es ist, so wahr mir Gott helfe, eine wahre Geschichte.

Stellen wir uns also Vollstreckungshauptsekretär S. bei der Arbeit vor. Treppauf, treppab, Türauf, Fuß in den Spalt, „Sie haben noch immer nicht ihre Kfz-Steuer, Müllgebühren/ Einkommenssteuer/Bußgeld bezahlt“, Kassieren mit sanftem Nachdruck oder der Androhung von Zwangsmitteln. Quittung. Belege und beigetriebenes Bargeld sind täglich abzurechnen. Nur: Exakt letzteres „vergaß“ Vollstreckungs-Hauptsekretär S. in insgesamt 104 Fällen und fügte dem Staat durch seine „fortgesetzte Untreue“ einen Vermögensschaden von rund 148.000 Mark zu.

Bislang ein normaler Fall also, allenfalls geeignet, dem in Bremen ohnehin ramponierten Bild staatlichen Verwaltungshandelns weitere Läsionen zuzufügen und Prozeßbeobachtern das eine oder andere heimliche Lächeln abzunötigen. Handelt es sich doch für Menschen von durchschnittlicher Intelligenz und Begabung (und solche wurde dem Delinquenten gutachterlich ausdrücklich bescheinigt) und ein alles-was-recht-ist saudämliches Verfahren eigenmächtiger Gehaltsaufbesserung: Schon bei der ersten Mahnung eines zu Unrecht an seine überfälligen Müllgebühren Erinnerten mußten S.‘ Vorgesetzte Verdacht schöpfen und taten das auch. Ein „absurdes“ Vor-und Vergehen bescheinigte denn gestern auch der sachverständig beigezogene Psychiater dem Ange

klagten Rolf S.

Absurd, und spätestens hier gewinnt die Geschichte außer komischen auch tragische Aspekte, ist aber weit mehr als die auf ihre Entdeckung geradewegs angelegte Tat. Von den 148.000 unterschlagenen Mark hatte Rolf S. nämlich buchstäblich nichts, außer unerwiderten Gefühlen, enttäuschter Liebe und dem Verlust seiner Stellung. Statt seiner lebt heute eine gewisse Rita C. weit über ihre Verhältnisse in einer geräumigen und luxuriös ausgestatteten Bremer 4-Zimmer-Wohnung mit mehreren Fernsehgeräten, Videorecordern, Stereoanlagen, Strickmaschine und Sonnenbank, verfügt über zwei Wohnwagen, einen PKW sowie einen „guten Bekannten“. Die Bekanntschaft besagter Rita verdankt Rolf S. einer kostenlosen Heiratsanzeige in einem bekannten Bremer Anzeigenblatt. Rolf S., früh verwitweter Vater zweier Kinder, hoffte in Rita eine neue Lebensgefährtin zu finden. Der biedere Verwaltungsbeamte aus dem schrecklich ordentlichen Elternhaus hatte aber offensichtlich nicht im Traum damit gerechnet, daß Rita ihn schon beim zweiten Treffen in neuen Wänden empfangen würde und ihre dritte Begegnung sie zu einem größeren Möbelhaus zwecks Kompletteinrichtung führen würde. S. plünderte erst sein Girokonto, nahm dann einen Kredit über 40.000 Mark auf und konnte schließlich der kriminellen Versuchung nicht widerstehen, als mehrere Urlaube mit Schwiegermutter und Stiefkindern in spe nach Kenia (10.000 Mark), Gran Canaria (18.000) und an die Ostsee (6.000) gebucht wurden. Wohl

gemerkt: Rolf S. wohnte derweil in einem Kämmerchen des elterlichen Hauses. In der von ihm unterhalten Wohnung lebte oben erwähnter „Bekannter“.

Eine schwere Aufgabe also für Gerichtspsycholgen, der sich Dr. Hans Haak mit einer atemraubenden, aber überzeugenden These entledigte: Unbewußt habe Rolf S. sich an den bedrückend katholischen Moralvorstellungen seiner Eltern rächen wollen, Sabotage am Bild der nach außen intakten, nach innen terroristischen Kleinbürgersfamilie getrieben, indem er zum Kriminellen wurde. Wie wenig schon der Junge von seinen Eltern akzeptiert wurde, belegt für Haak z.B. schon der Kosename des Kindes Rolf. Für seine Mutt hieß „Rolfi“ nur „Rolfinchen“.

Das Gericht beeindruckten solche tiefenpsychologischen Schlüssel für menschliche Absurditäten nur wenig. „Mit Mühe“ kämpfte es sich lt. Urteilsbegründung an das von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafmaß von 15 Monaten auf Bewährung heran. Konsequenz, wenn das Urteil rechtskftig wird: Rolf S. wird automatisch aus dem öffentlichen Dienst entfernt. Rita C. übrigens hat jeden Kontakt zu ihm eingestellt.

K.S.

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