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Kreuzbraver Kerl mit Lust am Leid

■ Uralte Lieder vom jungen Wolf und neue Lieder vom alten Biermann im Goethetheater /

Lang ist's noch nicht her. Da saß der kleine schnauzbärtige Mann auf der Bühne und schluchzte, schneuzte, schrie sein ach so kleines doch so großes Leid ins Publikum.

Der einsame Wolf, ein nacktes Menschenkind mit dem Arsch im Schneematsch, von der Liebsten verlassen, von der Welt bedroht. Da war selbst das Licht finster und die Hitze kalt. Ein trauriges Konzert, ein schönes Konzert. Denn irgendwie kennen wir es ja alle, das mit der glücklichen Liebe, die es nicht gibt und mit den politischen Kämpfen, die verloren gehen. Und wenn's dann einer so schön vorsingen kann.

Eine neue junge Liebe, die ein Kind „unter dem Herzen“ trägt, dazu, „Gorbi“ sei Dank, Hoffnung auf eine bessere Welt: Der kleine schnauzbärtige Mann, den es am Donnerstag abend wieder mal auf die Bühne des Goethetheaters zog, hat immer noch Lust am Leid, aber es geht ihm besser. Nicht, daß er wieder mit Marx

und Engelszungen kämpferisch dahersänge, nicht, daß ihm einfiele, seine Gitarre erneut zur Knarre umzuwidmen. Ganz gelassen sitzt er da und spielt die Rolle, die er beherrscht: Wolf Biermann.

VEB, VolksEigener Biermann, hat er die Tournee überschrieben. Die uralten Lieder vom jungen Wolf, auf Platte erst jetzt veröffentlicht, sollen ein Beitrag Biermanns zur aktuellen Entwicklung in der Sowjetunion und zum Verhältnis zwischen der Sowjetunion und der DDR sein. Seine historische Parallele: Was heute Glasnost heißt, hieß damals Tauwetter, eine kurze Phase der Entstalinisierung unter Chruschtschow. Und damals wie heute wehrte sich die DDR gegen jede Liberalisierung. Und mittenmang, wie immer, der kleine Biermann, ein kreuzbraves DDR-Kind: „Ich gehörte damals zu den Leuten, die sich für Kommunisten hielten“, erzählt er, und seine Mimik soll sagen: „Seht

her, stellt's euch vor, so dumm war ich damals.“ Ein kreuzbraves Kommunistenkerlchen, das kreuzbrave Lieder gegen das Abhauen in den Westen schrieb, oder süffige Balladen vom Traktoristen, Anklagendes gegen Rassismus in den USA. Da kam noch nicht in jedem Liedtext das Ich, der Biermann höchstpersönlich vor, da hat er einfach Geschichten erzählt, sie mit einfachen Harmonien versehen und seinem Publikum einfach vorgetragen.

Mit solch schlichten Reimen, der Beifall zeigt's, ist 25 Jahre später kaum eine zu begeistern. Doch es sind ja nicht nur die Liedchen, die er singt, es sind die Geschichten von der Geschichte, die hinter den Texten stehen und die er scheinbar spontan und doch bis ins Detail geplant vorträgt: Klar, daß das Publikum von ihm verlangt, La Paloma zu singen, wenn er erzählt, wie er dereinst von einer Brigade in der DDR eben dazu genötigt wurde. Und klar, daß er sich zu gerne noch mal nötigen läßt. Und wenn er am Donnerstag gleich mehrmals den Text vergißt, dann ist es nie so ganz klar, ob das auch stimmt, oder ob er nur gemerkt hat, daß sein Publikum nicht ganz bei der Sache ist.

So, als er bei einem neueren Lied Gorbatschows Revolution preist, aber bekrittelt, daß die erstens spät und zweitens von oben kommt, da unterbricht er sich und will erst mal was ganz anderes erzählen: nämlich, daß seine frühere Liebes und jetzige Lied-Gefährtin Eva-Maria Hagen just zu dieser Stunde in Moskau auftritt, natürlich mit Liedern, die er für sie geschrieben hat. Und Eva-Maria scheint sein Pseudonym fürs Fröhliche, Freche, Frivole

zu sein. So versteckt, kann der Wolf dann so richtig Berliner Kodderschnauze zeigen und Gorbi zu russischer Volksweise mal so richtig die gute Meinung vorsingen.

Den Biermann auf der Bühne, den gab's schon mal frecher und trauriger, lauter und leiser, eben besser. Doch für einen Abend zum Zuhören, zum Mitdenken, zum Lachen, da ist er allemal noch gut.

Holger Bruns-Kösters

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