: ASCHENPUTTELSYNDROM
■ Das Saarland will touristisch attraktiv werden Politisch Verantwortliche, Tourismusmanager und -kritiker wollen gemeinsam sanfte Wege einschlagen.
Gesichtslose Dörfer und eine ebenso gesichtslose Hauptstadt, ein Drittel Wälder, aber ansonsten nichts Besonderes außer den langsam zerfallenden Denkmälern der Ausbeutung von Kohle -und Stahlindustrie - das Saarland hat es nicht ganz leicht, als Freizeitregion attraktiv zu erscheinen und ernst genommen zu werden. Dennoch setzt die Regierung Lafontaines auf die Förderung des Fremdenverkehrs als ein wirtschaftliches Standbein, neben rationalisiertem Montanrevier, der Ansiedlung von High-Tec, alternative und regenerative Energieversorgung und dem erwünschten Ausbau des Saarlands zum modernen Industriestandort.
Bislang sichert die Fremdenverkehrswirtschaft schätzungsweise 25.000 Arbeitsplätze. „Der Fremdenverkehr hat sich längst zum bedeutenden Witschaftsfaktor entwickelt, dessen Bedeutung bei der Umstrukturierung des Saarlandes zunehmend wächst“, so der Minister für Wirtschaft, Hajo Hoffman, der Präsident des Hotel-und Gastättengewerbes, Gerd Franzen, und der Präsident des Fremdenverkehrsverbandes, Richard Weber, im Vorwort des Touristischen Handbuchs Saarland. Und wer diesen Zahlen und diesem Optimismus noch skeptisch gegenüber steht, dem sollen die letzten Zweifel mit „Sanfter Sommer Saarland“ genommen werden. Natur, Kultur
und Käsemachen
Bei der Entdeckung des Aschenputtel Saarland mit der „derben Schönheit“, so die Prospektcharakterisierung, soll nun die Naturfreunde Internationale mithelfen. In Zusammenarbeit mit dem Wirtschafts- Umwelt- und Kulturministerium, dem Fremdenverkehrsamt und Tourismuskritikern will man erstmals auf Landesebene ein gemeinsames Pilotprojekt für einen „Sanften Sommer Saar“ starten. Vier Veranstaltungen im Sinne eines umweltverträglichen und sozialverantwortlichen Tourismus sollen den Freizeitmarkt Saarland erproben.
Erstens: Im Juni '89 werden die bundesdeutschen Naturfreunde eine „soziale Pedale“ durchführen. Im Vordergrund dieser Radtour durchs Saarland sollen kulturhistorische und Umweltaspekte stehen. Zweitens: Schulen des Saarlandes empfangen im Rahmen einer ökologischen Woche, Klassen aus Holland, England und dem Siegerland zu einer ökologischen Woche. Gedacht ist beispielsweise an das Anlegen von Biotopen, die den saarländischen Schulen dann zur Betreuung überlassen werden sollen und die „Durchführung von pädagogisch wertvollen Maßnahmen bei Restaurierungsvorhaben des Umweltministeriums“.
Drittens: Fotowanderungen unter dem Motto „Sanfter Tourismus - reisen und wandern anders als die anderen“. Eine Woche Saarland durch die Fotolinse. Maßnahmen zum Schutz des Saarufers sollen behandelt, fotografiert und später als internationale Fotoaustellung dem Publikum präsentiert werden. Viertens: Familienurlaub mit 20 Familien aus sieben Ländern. Zielgruppe sind dabei sozial schwächere Familien. Abgewickelt wird auch dieses Programm im Sinne eines sanften Tourismus: öffentliche Verkehrsmittel, Unterbringung in kleineren Privatpensionen, keine Plastikernährung. Die Freizeitangebote reichen von der kulturhistorischen Stadtführung bis zu Kursen im Käsemachen oder Schafswollweben. Urlaubspädagogik
Alter Wein in neuen Schläuchen? Auch, aber zumindest zum ersten Mal in so komprimierter Form und in Zusammenarbeit mit einer Landesregierung. Wobei natürlich zum einen der „sanfte“ Tourismus einem Umweltminister wie Jo Leinen gut ansteht, zum anderen das Saarland auch nur in Kombination mit qualitativ anderen Angeboten, mit der Ausrichtung auf andere Zielgruppen, Fuß fassen kann in der ausgebuchten Freizeitwelt. Zwar würde einer von der Regierung in Auftrag gegebene Studie zufolge auch ein Obelix-Freizeitpark Erfolg versprechen, doch auf diese kulturlose Freizeitveranstaltung nach der Holzhammermethode will man verzichten. Aber, wer fährt schon freiwillig ins Saarland, wenn's im Bayrischen Wald viel schöner ist?
„Eben der, der im Urlaub mehr als nur wandern und sich erholen will. Derjenige, der auch Interesse an sozialen und kulturellen Aktivitäten hat, der sich eine Pauschalreise nach Mallorca nicht leisten kann oder will“, meint der Soziologieprofessor Dieter Kramer. Und genau darum geht es in diesem Pilotprojekt mit der Naturfreunde Internationale.
Das Saarland sei in bezug auf landschaftliche Reize besser als sein Ruf, meinte Umweltminister Jo Leinen auf einer gutbesuchten öffentlichen Diskussionsveranstaltung, wo den Saarländer Bürgern der „Sanfte Tourismus“ schmackhaft gemacht werden sollte. Und da Freizeitbetätigung bewußt gelernt werden müsse, könnten nur entsprechende Freizeitangebote einen sinnvollen Tourismus garantieren. Der Tourismuskritiker und Ökologie-Professor Jost Krippendorf warnte auf der selben Veranstaltung davor, aus den bescheidenen Ansätzen der Naturfreunde sofort ökonomischen Nutzen ziehen zu wollen. „Sanfter Tourismus“ habe keine Designfunktion, sondern brauche Zeit zur Realisierung. Vages Modell
„Sanfter Tourismus“
Eine Dame aus dem Publikum im aufregend lila-weißen Pullover mit eingestricktem Frauenzeichen und der kecken Aufschrift „Haben sie heute ihre Frau schon gelobt“ wollte ganz im aufklärerischen Stil ihres Pullovers wissen, ob man auch in Hotels- und Gaststätten mit Verhaltensmaßregeln für die Ziele des „sanften“ Tourismus werbe. Mit dieser konkreten Frage griff sie den anwesenden Politikern und Fremdenverkehrsmanagern allerdings vor. Denn so weit ist das Modell eines „sanft bereisten Saarlandes“ noch lange nicht gediehen.
Zwischen den konkreten Veranstaltungen des „Sanften Sommer Saar“ und dem Kurz- oder Langzeitinteresse der saarländischen Regierung und Fremdenverkehrslobby klafft noch eine große Kluft. Die Verzahnung und Übertragbarkeit auf die strukturellen Voraussetzungen im Saarland um das Ganze im größeren ökonomischen Rahmen, in Zusammenarbeit mit Hotelerie und Gastronomie zu verwirklichen, steckt noch in den Kinderschuhen. Bisher grenzt man sich gegen einen harten Tourismus, mit großen Hotels Freizeitparks und Menschenmassen ab. Wie der sanfte Bruder als Modell für eine strukturschwache Region zu verwirklichen ist, so daß er für Besucher und Besuchte gleichermaßen attraktiv und effektiv wäre, bleibt offensichtlich für alle Beteiligten noch vage.
Die Pilotveranstaltungen der Naturfreunde sollen den saarländischen Verantwortlichen erste Ansätze liefern, die dann in eigener Regie übernommen und vermarktet werden. Dazu bedarf es aber nicht nur der Geduld für Langzeitökonomie, sondern auch Langzeitstrategie. Denn der Begriff sozialverträgliches und umweltverantwortliches Reisen ist bislang nicht mehr als ein respektabler Forderungskatalog.
Nichtsdestotrotz böten sich allerdings in einem bisher so jungfräulichen und ungeahntem Freizeitgebiet wie dem Saarland neue bewußte Gestaltungsmöglichkeiten. Vor allem wenn sie in so harmonischer Allianz von Politikern, Managern und Kritikern vonstatten gehen. Bislang zeigt man guten Willen und die Landesregierung darüber hinaus organisatorische und finanzielle Unterstützung. Damit das Aschenputtel Saarland entdeckt wird, gehört aber noch viel Innovation, über den traditionsreichen, sozialen, etwas antiquiert wirkenden Ansatz der Naturfreunde hinaus und sozialverantwortliches Marketing dazu.
Edith Kresta
P.S.: Vom treuherzigen Aschenputtel verdientermaßen zur Prinzessin, vielleicht sollten die Verantwortlichen zu diesem Zweck Bauer Ewald als Managementberater engagieren (siehe vorherige Seite). Ihm gelang es mit Phantasie, Naturverbundenheit, sozialem Sinn, Liebe zum Detail und geschickter Selbstvermarktung ein schlichtes Gehöft zum vielseitigen, vielbesuchten, durchaus noch sanftem Freizeitereignis umzugestalten.
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